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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Robertos Blick ruhte auf zwei Blättern, die ihm zuerst wie der Schwanz eines Krebses erschienen waren, auf denen weiße Blüten knospten, dann auf einem anderen zartgrünen Blatt, auf dem etwas wie eine halbe Blüte aus einem Büschel elfenbeinfarbener Beeren wuchs. Ein widerlicher Geruch zog seine Aufmerksamkeit auf ein gelbes Ohr, in das ein kleiner Maiskolben eingeführt schien, daneben hingen Girlanden von Porzellanschnecken, schneeweiß mit rosiger Spitze, und aus einer anderen Dolde hingen umgekehrte Trompeten oder Glöckchen, die leicht nach Mauerpfeffer rochen. Er sah eine zitronengelbe Blume, deren Veränderlichkeit er in den nächsten Tagen bemerken sollte, denn sie sollte am Nachmittag aprikosenfarben und bei Sonnenuntergang dunkelrot werden, und andere, die in der Mitte safrangelb waren und nach außen zu einem lilienartigen Weiß verblassten. Er entdeckte Früchte mit rauher Schale, die er nicht zu berühren gewagt hätte, hätte nicht eine von ihnen, die kraft des Reifeprozesses zu Boden gefallen und aufgeplatzt war, ein granatapfelähnliches Inneres offenbart. Er wagte es, andere zukosten, und beurteilte sie mehr mit der Zunge, mit der man spricht, als mit der, mit welcher man kostet, denn er bezeichnet eine von ihnen als Honigbeutel, geronnenes Manna in der Üppigkeit ihres Stammes, Juwel aus Smaragden, gekrönt mit winzig kleinen Rubinen. Wobei ich, wenn ich die Sache bei Licht betrachte, die Behauptung wagen würde, dass er etwas entdeckt hatte, was sehr ähnlich einer Feige war.
    Keine dieser Blumen oder Früchte war ihm bekannt, jede schien ihm der Phantasie eines Malers entsprungen, der die Naturgesetze verletzen wollte, um überzeugende Unwahrscheinlichkeiten, zerrissene Wonnen und köstliche Lügen zu erfinden – wie jene Blütenkrone mit einem weißlichen Flaum, der in einen lila Federbusch mündete, oder nein, eine verblasste Primel, die einen obszönen Auswuchs hervortrieb, oder eine Maske, die ein Greisengesicht mit Bocksbart überzog. Wer mochte jenen Strauch ersonnen haben, dessen Blätter auf der einen Seite dunkelgrün mit wilden rotgelben Dekorationen waren und auf der anderen flammendrot, umgeben von fleischigen Blättern in zarterem Erbsengrün, die sich muschelförmig wölbten, so dass sie noch Wasser vom letzten Regen enthielten?
    Von der Suggestion des Ortes ergriffen, fragte Roberto sich nicht, von welchem Regen jenes Wasser stammen mochte, hatte es doch mit Sicherheit schon seit mindestens drei Tagen nicht geregnet. Die betäubenden Gerüche ließen ihn jede Zauberei für natürlich halten.
    Es schien ihm natürlich, dass eine schlaff herabhängende Frucht nach Blauschimmelkäse roch und dass eine Art violetter Granatapfel mit einem Loch am Boden, wenn man ihn schüttelte, einen klappernden Samen in seinem Innern hören ließ, als handle es sich nicht um eine Blume, sondern um ein Spielzeug, und er wunderte sich auch nicht über eine Blume in Form einer Lanzenspitze mit hartem gerundetem Boden. Roberto hatte noch nie eine Trauernde Palme gesehen, die wie eine Trauerweide aussah, und er hatte sie vor sich, ein Gewächs mit vielen Wurzelfüßen, aus denen ein Stamm aufragte, der in einem einzigen Blattbüschel endete, während die Blätter dieser zum pianto geborenen pianta erschöpft von ihrer eigenen Blüte zu Boden hingen. Auch einen anderen Strauch hatte Roberto noch niemals gesehen: eine Pflanzemit breiten und fleischigen Blättern, die durch eine eisenharte Mittelrippe so sehr versteift wurden, dass man sie als Teller und Schüsseln hätte benutzen können, während daneben andere Blätter wuchsen, welche die Form nachgiebiger Löffel hatten.
    Ungewiss, ob er sich in einem künstlichen Wald befand oder in einem irdischen Paradies, das im Innern der Erde verborgen war, spazierte Roberto in jenem Eden umher, das ihn zu Geruchsdelirien verführte.
    Als er später seiner Signora davon berichtet, spricht er von ländlichen Rasereien, von Launen der Gärten, belaubten Proteen und närrisch gewordenen Zedern (Zedern?), erkrankt an lieblichem Furor ... Oder er vergegenwärtigt sich das Gesehene als schwimmende Höhle, reich an täuschenden Automaten, aus denen, umwunden mit schrecklich verschlungenen Seilen, fanatische Kressen wuchern, gottlose Triebe barbarischer Wälder ... Er spricht von Opium der Sinne, von einer Runde fauliger Elemente, die ihn, zu unreinen Säften vergoren, zu den Antipoden der Vernunft geführt habe.
    Zuerst hatte er seinen Eindruck, dass zwischen den

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