Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
Blumen und Pflanzen auch gefiederte Stimmen erklangen, dem Vogelgesang zugeschrieben, der von der Insel zu ihm herüberdrang; doch plötzlich überlief ihn eine Gänsehaut, als eine Fledermaus so dicht an ihm vorbeiflog, dass sie fast sein Gesicht berührte, und gleich darauf musste er einem Falken ausweichen, der sich auf seine Beute stürzte und sie mit einem Schnabelhieb zu Boden streckte.
Beim Abstieg ins Unterdeck hatte Roberto die Vögel der Insel noch aus der Ferne gehört, und auch beim Weitergehen war er noch überzeugt gewesen, sie durch die Bordwand zu hören. Nun aber hörte er sie auf einmal aus sehr viel größerer Nähe. Diese Töne konnten nicht von der Insel kommen: Andere Vögel also, nicht die in der Ferne, sangen jenseits der Pflanzen, weiter vorne im Bug, irgendwo in der Nähe jener Vorratskammer, aus der er in der vorigen Nacht die Geräusche gehört hatte.
Als er weiterging, schien ihm, dass der künstliche Garten vor einem hohen Stamm endete, der aufragend durch das Oberdeck brach. Dann begriff er, dass er mehr oder wenigerin der Mitte des Schiffes angelangt war, wo sich der Hauptmast bis in den untersten Kielraum senkte. An diesem Punkt aber vermischten sich Kunst und Natur in so hohem Grade, dass wir die Verwirrung unseres Helden entschuldigen können. Auch weil genau an diesem Punkt seine Nase eine neue Geruchsmischung wahrzunehmen begann, Gerüche von schimmelnder Erde und tierischem Kot, als sei er dabei, aus einem Gewächshaus in einen Stall zu treten.
Dann, als er am Hauptmast vorbeiging, sah er das Vogelhaus.
Er wusste kein anderes Wort für jene Versammlung von Käfigen aus Rohrgeflecht und solidem Kupferdraht, der sie zusammenhielt, bewohnt von Vögeln, die sich mühten, jenes Tageslicht zu erraten, von dem sie nur ein Almosen empfingen, und mit verzerrten Stimmen auf die Rufe ihrer frei auf der Insel singenden Artgenossen zu antworten. Auf den Boden gestellt oder an den Latten des Oberdecks hängend, verteilten sich die Käfige in dieser zweiten Laube wie Stalaktiten und Stalagmiten, derart eine zweite Höhle der Wunder bildend, in welcher die Tiere mit ihrem Geflatter die Käfige pendeln ließen und diese die Sonnenstrahlen kreuzten, so dass ein Geflimmer von Farben, ein Gestöber von Regenbogenfragmenten entstand.
Wenn er bis zu jenem Tage nie wirklich die Vögel hatte singen hören, so konnte Roberto auch nicht behaupten, sie jemals wirklich gesehen zu haben, jedenfalls nicht in so vielerlei Gestalt, weshalb er sich fragte, ob sie noch im Naturzustand waren oder ob die Hand eines Künstlers sie bemalt und ausgeschmückt hatte, vielleicht für eine Pantomime oder um ein paradierendes Heer darzustellen, in dem jeder Fußsoldat und jeder Reiter in seine eigene Standarte gehüllt war.
Gleich einem höchst verlegenen Adam wusste Roberto keine Namen für diese Wesen, wenn nicht die der Vögel seiner Hemisphäre; sieh da, ein Reiher, sagte er sich, ein Kranich, eine Wachtel ... Aber es war, als würde man einen Schwan eine Gans nennen.
Hier Prälaten mit breit gefächertem Kardinalsschwanz und einem Schnabel in Form eines Destillierkolbens, grasgrüne Flügel öffnend, wobei sie eine purpurne Kehle blähten und eine azurblaue Brust zeigten, dort vielköpfigeGeschwader, die wie in einem großen Turnier wetteifernd Sturmangriffe flogen auf die niedrigen Kuppeln, die ihre Arena begrenzten, dazwischen gurrende Blitze und rote und gelbe Degenhiebe, wie Fahnen, die ein Bannerträger emporwirft und im Fluge wieder auffängt. Mürrische Chevaulegers mit dünnen langen Beinen in viel zu engem Raum knarzten herablassend ihr Kra-Kra, manchmal auf einem Bein schaukelnd und misstrauisch umherblickend, so dass die Federbüschel auf dem vorgereckten Kopf wippten ... Allein in einem nach seinem Maße erbauten Käfig saß ein Großkapitän mit himmelblauem Mantel, die Weste zinnoberrot wie das Auge und ein Federbusch aus Lilien als Helmschmuck, und er gurrte wie eine Taube. Daneben in einem kleinen Käfig drei kleine Infanteristen am Boden, ihrer Flügel beraubt, hüpfende Büschel aus kotiger Wolle mit Mäuseschnäuzchen, schnurrbärtig an der Wurzel eines langen krummen Schnabels mit Nasenlöchern, mit denen die kleinen Monster schnupperten, während sie Würmer aufpickten, die sie auf ihrem Wege fanden ... In einem Käfig, der die Form eines gewundenen Ganges hatte, stakste zögernd ein kleiner Storch mit karottenroten Beinen, die Brust aquamarinblau, die Flügel schwarz und der Schnabel
Weitere Kostenlose Bücher