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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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durchquerte, die leise knarzend hin- und herschwankte, und von dort hätte er sofort durch die Tür zum Unterdeck hinausgehen können. Doch wie um sich mit jenen unteren Zonen vertraut zu machen, bevor er den unbekannten Feind anging, ließ er sich durch eine Luke noch weiter hinab in einen Raum, in dem normalerweise weitere Vorräte hätten sein müssen. Stattdessen fand er dort, dicht an dicht nebeneinander, Bettstätten für etwa ein Dutzend Personen. Demnach schlief der größte Teil der Mannschaft hier unten, vielleicht weil der übrige Platz für andere Zwecke gebraucht wurde. Die Betten waren in perfekter Ordnung. Wenn es also eine Epidemie gegeben hatte, mussten sie jedes Mal, wenn einer gestorben war, von den Überlebenden kunstgerecht wieder gemacht worden sein, um den anderen zu bedeuten, dass nichts passiert war ... Allerdings, wer sagte denn, dass die Besatzung tot war, gar die gesamte? Aber auch diesmal konnte ihn dieser Gedanke nicht beruhigen: Eine Pest, die eine ganze Mannschaft dahinrafft, ist ein natürliches Phänomen, nach Ansicht einigerTheologen sogar bisweilen ein gottgewolltes; ein Ereignis jedoch, vor dem eine ganze Mannschaft die Flucht ergreift, unter Zurücklassung eines so unnatürlich wohlgeordneten Schiffes, konnte etwas viel Schlimmeres sein.
    Vielleicht fand sich die Erklärung im Unterdeck, also Mut gefasst! Roberto stieg wieder hinauf und öffnete die Tür zu dem gefürchteten Ort.
    Nun begriff er die Funktion jener breiten Lattenroste, die das Oberdeck durchbrachen. Durch sie wurde das Unterdeck in eine Art Laube verwandelt: in einen lichten Raum, von oben beleuchtet durch das nun volle Tageslicht, das in schrägen Strahlen einfiel, um sich zu kreuzen mit dem, das seitlich durch die »Sabords« eindrang, und sich mit den nun bernsteingelben Reflexen der Kanonen zu kolorieren.
    Zunächst sah Roberto nichts als Sonnenstrahlen, in denen winzige Staubkörnchen tanzten, und bei diesem Anblick musste er unwillkürlich an die Worte denken (und wie ausführlich erging er sich dann im Spiel mit gelehrten Erinnerungen, um seiner Signora Eindruck zu machen, anstatt jene Worte einfach zu wiederholen), mit denen der Kanonikus von Digne ihn aufgefordert hatte, die Kaskaden des Lichts zu verfolgen, die sich im Dunkel einer Kathedrale verbreiten, zu beobachten, wie sie sich im eigenen Innern beleben mit einer Vielzahl von Monaden, Samen, unlöslichen Naturen, Tropfen maskuliner Essenz, die spontan zerplatzen, urtümlichen Atomen, verwickelt in Kämpfe, Schlachten, vielfältige Scharmützel, zwischen Begegnungen und Trennungen in unendlicher Zahl – sichtbarer Beweis der Zusammensetzung unseres Universums, das aus nichts anderem besteht als aus primären Körpern, die im Leeren tanzen.
    Gleich darauf, fast wie um ihm zu bestätigen, dass die Schöpfung nichts anderes ist als ein Werk jenes Tanzes von Atomen, schien ihm plötzlich, als sei er in einem Garten, und ihm wurde bewusst, dass – schon seit er das Unterdeck betreten hatte – eine Fülle von Düften auf ihn eindrang, von Düften und Gerüchen, die sehr viel stärker waren als jene, die ihn zuvor von der Insel erreicht hatten.
    Einen künstlichen Garten, eine Art Gewächshaus – das war es, was die verschwundenen Männer der Daphne in jenem Teil des Schiffes angelegt hatten, um Blumen undPflanzen der Inseln, die sie erkundeten, nach Europa zu bringen, wobei Sonne, Wind und Regen ihr Überleben gewährleisten sollten. Ob das Schiff seine pflanzliche Beute tatsächlich über Monate hätte am Leben erhalten können oder ob nicht der erste Sturm sie mit Salz vergiftet hätte, konnte Roberto nicht sagen, aber der Umstand, dass diese Natur noch lebte, bestätigte ihm – wie schon die volle Speisekammer –, dass die Ladung erst vor kurzem an Bord genommen worden sein konnte.
    Blumen, Sträucher und kleine Bäumchen waren mit ihren Wurzeln und Schollen hergebracht und in allerlei Töpfen, Körben und rasch zusammengezimmerten Kästen eingepflanzt worden. Aber viele dieser Behälter waren angefault und aufgebrochen, die Erde war herausgekommen und hatte eine Schicht feuchtschwarzer Krume zwischen ihnen gebildet, in der sich bereits die Ableger einiger Pflanzen festzusetzen begannen, so dass es schien, als wüchse ein Garten Eden direkt aus den Planken der Daphne.
    Das Sonnenlicht war noch nicht so grell, dass es Robertos Augen schmerzte, aber schon hell genug, um die Farben des Blattwerks prangen und die ersten Blüten aufgehen zu lassen.

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