Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
erschossenen Flüchtlinge auszuplündern, begriffen gar nicht, woher er auf einmal kam. Er stürmte hinein und rief laut nach seinem Sohn, streckte vier weitere Gegner nieder, indem er sich einmal im Kreis herumdrehte und mit der Klinge in die vier Himmelsrichtungen schlug. Unter seinem Stroh hervorspähend, sah ihn Roberto von weitem, und noch vor dem Vater erkannte er dessen Pferd Pagnufli, mit dem er jahrelang gespielt hatte. Er steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen Pfiff aus, den das Pferd gut kannte, und tatsächlich hob es den Kopf, spitzte die Ohren und zerrte den Vater zu jener Bresche. Pozzo erblickte Roberto und rief: »Hast du keinen besseren Platz finden können? Spring auf, Dummerjan!« Und während Roberto sich hinter ihm auf die Kruppe schwang und sich an ihn klammerte,schimpfte der Alte: »Schockschwerenot, nie findet man dich, wo du sein sollst!« Dann gab er Pagnufli die Sporen und galoppierte dem Fluss entgegen.
In diesem Augenblick merkten einige Plünderer, dass jener Mann an jenem Ort fehl am Platze war, und zeigten laut schreiend mit dem Finger auf ihn. Ein Offizier mit zerbeultem Brustharnisch, gefolgt von drei Soldaten, versuchte ihm den Weg abzuschneiden. Pozzo sah es, wollte zuerst ausweichen, zog aber dann blank und rief: »Da rede einer vom Schicksal!« Roberto spähte nach vorn und entdeckte, dass der Offizier jener selbe Spanier war, der sie vor zwei Tagen hatte passieren lassen. Auch er hatte sein Gegenüber erkannt und preschte leuchtenden Auges mit erhobenem Degen heran.
Der alte Pozzo wechselte seinen Degen aus der rechten in die linke Hand, zog mit der rechten die Pistole aus dem Gürtel und streckte den Arm aus, alles so schnell, dass es den Spanier völlig überraschte, der sich vor lauter Eifer inzwischen fast unter seinen Füßen befand. Aber Pozzo schoss nicht sofort. Er nahm sich die Zeit zu sagen: »Entschuldigt die Pistole, aber wenn Ihr einen Harnisch tragt, habe ich das Recht ...« Dann drückte er ab und schoss ihm eine Kugel in den Mund. Die Soldaten, als sie ihren Anführer fallen sahen, ergriffen die Flucht, und Pozzo steckte die Pistole weg mit den Worten: »Wir verschwinden besser, ehe sie die Geduld verlieren ... Los, Pagnufli!«
In einer großen Staubwolke ritten sie über die Ebene und dann zwischen hoch aufspritzenden Fontänen durch den Fluss, während hinter ihnen immer noch jemand aus der Ferne auf sie ballerte.
Unter Beifallsbekundungen erreichten sie das rechte Ufer. Toiras sagte: »Très bien fait, mon cher ami«, und dann Roberto: »La Grive, heute sind alle davongelaufen, nur Ihr seid geblieben. Edles Blut lügt nicht zu. Ihr seid verschwendet in jener Kompanie von Feiglingen. Kommt in mein Gefolge.«
Roberto dankte ihm und reichte dann, während er aus dem Sattel stieg, seinem Vater die Hand, um auch ihm zu danken. Pozzo drückte sie zerstreut und sagte: »Tut mir ja leid für diesen spanischen Herrn, er war so ein braver Mann. Ach ja, der Krieg ist schon eine scheußliche Bestie. Andererseits, denk immer daran, mein Sohn: Gute Leute mögen sie jaschon sein, aber wenn dir einer entgegentritt, um dich zu töten, dann ist er es, der unrecht hat. Oder?«
So kehrten sie zurück in die Stadt, und Roberto hörte seinen Vater noch mehrmals vor sich hin brummeln: »Ich hatte ihn doch gar nicht gesucht ...«
5
DAS LABYRINTH DER WELT
E s scheint, dass Roberto sich diese Episode in einem Anfall von Sohnesliebe vergegenwärtigt, indem er von einer glücklichen Zeit phantasiert, in der eine schützende Vaterfigur ihn aus den Wirren einer Belagerung retten konnte, aber er kann nicht umhin, sich auch an das Weitere zu erinnern. Und das ist, glaube ich, keine bloß zufällige Erinnerung. Wie ich schon sagte, scheint mir Roberto jene lang zurückliegenden Ereignisse bewusst mit seiner Situation auf der Daphne zu konfrontieren, als wollte er darin Zusammenhänge, Gründe, Zeichen des Schicksals finden. Jetzt würde ich sagen, dass die Rückbesinnung auf die Tage in Casale ihm dazu diente, auf dem Schiff die Phasen nachzuzeichnen, in welchen er als Jüngling allmählich lernte, dass die Welt sich aus labyrinthisch zerstückelten Architekturen zusammensetzt.
Mit anderen Worten, einerseits konnte ihm sein gegenwärtiges In-der-Schwebe-Sein zwischen Himmel und Meer nur als die konsequenteste Fortsetzung seiner nun bald drei Lustren währenden Irrungen durch ein Gelände aus lauter sich gabelnden Abkürzungswegen erscheinen; andererseits versuchte
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