Die Insel Des Vorigen Tages
Beweis dafür, daß nur ganz wenige Augenblicke vergangen sein konnten und daß Pater Caspar sich noch der reinsten Luft erfreute.
Aber vielleicht war der Pater ja schräg gegangen und es war zwecklos, nach vorn zu schauen, als müsse er in der Schußlinie einer Muskete auftauchen. Er konnte viele Umwege gemacht haben, um den besten Durchgang durch das Korallenriff zu finden. Hatte er nicht gesagt, als sie die Glocke zusammenbauten, daß es ein Glück sei, daß die Winde ihn genau an dieser Stelle absetzen werde? Zehn Schritte weiter nördlich falle der Boden jäh ab, um einen Steilhang zu bilden, gegen den er einmal mit dem Bootskiel gestoßen sei, während an Steuerbord vor der Ankerwinde eine Passage sei, durch die auch das Boot damals gefahren sei, bevor es dann dort aufgelaufen war, wo sich jetzt die Klippen allmählich erhoben.
Freilich konnte er sich auch in der Richtung geirrt haben, er fand sich vor einer Mauer und suchte sie in südlicher Richtung nach einem Durchgang ab. Oder er suchte sie in nördlicher Richtung ab. Roberto mußte also die ganze Küste absuchen, von einem Kap zum anderen, vielleicht würde der Pater dort unten auftauchen, die Stirn bekränzt mit unterseeischem Efeu ... Roberto schaute von einem Ende der Bucht zum andern, stets in der Angst, daß Pater Caspar, während er nach links schaute, rechts auftauchen könnte, und umgekehrt. Dabei konnte man auch auf diese Entfernung sofort erkennen, wenn irgendwo ein Mensch auftauchte, um wieviel eher also eine Glocke aus glänzendem Leder, die in der Sonne funkelte wie ein frisch polierter Kupferkessel ...
Der Fisch! Vielleicht gab es in der Bucht ja wirklich einen menschenfressenden Fisch, der sich von der Glocke nicht abschrecken ließ und sie mitsamt dem Jesuiten einfach verschlungen hatte. Nein, von einem solchen Fisch hätte man zumindest den Schatten sehen müssen: Wenn es ihn gab, hätte er zwischen dem Schiff und dem Beginn der Korallenfelsen herumschwimmen müssen, nicht dahinter. Aber vielleicht war der Pater ja schon an die Felsen gelangt, und tierische oder mineralische Dornen hatten die Glocke durchlöchert und das bißchen Luft, das sich noch darin befand, herausgelassen ...
Anderer Gedanke: Wer sagt mir denn, daß die Luft in der Glocke tatsächlich so lange reicht? Der Pater hatte es gesagt, aber der Pater hatte sich auch getäuscht, als er so sicher war, daß seine Schüssel in der Ölwanne funktionieren würde. Letzten Endes hat sich dieser gute Pater doch als ein ziemlicher Phantast erwiesen, und vielleicht ist auch diese ganze Geschichte mit der Sintflut und dem Antipoden-Meridian und der Insula Salomonis ein einziger Haufen Märchen. Und selbst wenn er mit der Insel recht hätte, könnte er doch die Luftmenge, die ein Mensch zum Atmen braucht, falsch berechnet haben. Und wer sagt schließlich, daß diese Öle und andern Essenzen wirklich alle Ritzen verstopft haben? Vielleicht ist in diesem Moment das Innere der Glocke wie eine von jenen Grotten, in denen das Wasser überall aus der Wand quillt, vielleicht läßt die ganze Glocke überall Wasser durch wie ein Schwamm, und ist nicht auch unsere Haut ein einziges Sieb aus lauter unsichtbaren Poren, die aber doch existieren, wenn der Schweiß durch sie austritt? Und wenn das bei der Haut eines Menschen so ist, kann es dann nicht auch bei der eines Ochsen so sein? Oder schwitzen die Ochsen nicht? Und wenn es regnet, fühlt sich ein Ochse dann nicht auch innerlich naß?
Roberto rang die Hände und verfluchte seine überstürzte Eile. Es war klar, er hatte gemeint, daß Stunden vergangen seien, und dabei waren nur wenige Pulsschläge vergangen. Er sagte sich, daß er keinerlei Grund zum Zittern habe, viel mehr Gründe hätte der mutige Alte gehabt. Vielleicht sollte er lieber das Unternehmen mit dem Gebet begleiten, oder wenigstens mit der Hoffnung und dem Wunsch auf gutes Gelingen.
Und außerdem, sagte er sich, habe ich mir zu viele Gründe für eine Tragödie ausgedacht, und es ist typisch für Melancholiker, daß sie Gespenster sehen, die sich die Wirklichkeit gar nicht auszudenken vermag. Pater Caspar kennt die Gesetze der Hydrostatik, er hat dieses Meer ausgelotet und die Sintflut studiert, auch anhand der Fossilien, die sich in allen Meeren finden. Also Ruhe, es genügt zu begreifen, daß noch gar nicht viel Zeit vergangen ist, und warten zu können.
Roberto wurde bewußt, daß er den, der noch vor kurzem für ihn der Eindringling gewesen war, inzwischen liebte und
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