Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
geschossen, und hätte die Belagerung noch länger gedauert, hätten wir sie sogar gegessen. Wer als Soldat im Dreißigjährigen Krieg war - sage ich heute, aber wer den Dreißigjährigen Krieg damals mitgemacht hat, hat ihn nicht so genannt, und vielleicht war ihm nicht einmal klar, daß es sich um einen einzigen langen Krieg handelte, in dem immer wieder mal jemand Frieden schloß -, der hatte gelernt, hartherzig zu sein.
    Demonstrierte Befestigung
    Warum beschwört Roberto die Erinnerung an Casale herauf, um seine ersten Tage auf dem Schiff zu beschreiben? Gewiß, da ist der Zeitgeschmack an der Ähnlichkeit, Belagerung dort, Belagerung hier, aber von einem Menschen seines Jahrhunderts erwarten wir mehr. Wenn schon, dann mußten ihn an der Ähnlichkeit die Unterschiede faszinieren, aus denen sich so pointierte Gegensätze gewinnen ließen: Nach Casale war er aus freien Stücken gekommen, damit die anderen nicht hineinkamen, auf die Daphne war er geworfen worden und wünschte sich nichts sehnlicher, als sie zu verlassen. Aber ich würde eher sagen, daß er, während er eine Geschichte im und von Halbschatten erlebte, sich zurückbesann auf ein Geschehen voll hochgespannter Aktionen, die er im vollen Sonnenlicht miterlebt hatte, so daß die gleitenden Tage der Belagerung, die seine Erinnerung vor ihm wiedererstehen ließ, ihn für sein bleiches Vagabundieren entschädigten. Und vielleicht war da noch etwas anderes. Im ersten Teil seines Lebens hatte Roberto nur zwei Perioden gehabt, in denen er etwas gelernt hatte über die Welt und die verschiedenen Arten, in ihr zu leben - ich meine die wenigen Monate in Casale und die letzten Jahre in Paris; nun durchlebte er seine dritte Bildungsphase, vielleicht die letzte, an deren Ende die Reife mit der Auflösung zusammengefallen sein würde, und er versuchte, sich die geheime Botschaft dieser Phase zu erschließen, indem er die Vergangenheit als eine Figur der Gegenwart ansah.
    Casale war zu Beginn eine Geschichte von Ausfällen gewesen. Roberto erzählt sie seiner Signora, indem er sie überhöht, als wollte er damit sagen, daß er - unfähig, wie er damals gewesen war, die Festung seines jungfräulichen Schnees zu bezwingen, verstört, aber nicht zerstört von der Flamme seiner zwei Sonnen - unter der Flamme einer anderen Sonne doch immerhin fähig gewesen war, sich denen entgegenzustellen, die seine monferrinische Zitadelle einer Belagerung unterzogen.
    Am Morgen nach ihrer Ankunft hatte Toiras einige unbegleitete Offiziere losgeschickt, die mit geschulterter Büchse herausfinden sollten, was die Neapolitaner auf dem am Vortag eroberten Hügel installierten. Sie hatten sich zu weit vorgewagt, es war zu einem Schußwechsel gekommen, und ein junger Leutnant des Regiments Pompadour war getötet worden. Seine Kameraden hatten ihn in die Stadt zurückgebracht, und so hatte Roberto den ersten getöteten Toten seines Lebens gesehen. Toiras beschloß, die Häuser besetzen zu lassen, von denen er am Vortag gesprochen hatte.
    Von den Bastionen aus konnte man das Vorgehen der zehn losgeschickten Musketiere gut verfolgen: An einem bestimmten Punkt teilten sie sich, um das erste der Häuser in die Zange zu nehmen. Auf den Stadtmauern ging eine Kanonade los, die über ihre Köpfe hinweg das Dach des Hauses abdeckte: Wie aufgescheuchte Insekten kamen einige Spanier heraus und liefen davon. Die Musketiere ließen sie laufen, besetzten das Haus, verbarrikadierten sich und begannen, den Hügel unter Beschuß zu nehmen.
    Es bot sich an, die Operation bei anderen Häusern zu wiederholen: Auch von den Bastionen aus konnte man jetzt sehen, daß die Neapolitaner anfingen, Schützengräben auszuheben und sie mit Faschinen und Schanzkörben zu umgeben. Aber diese Gräben legten sich nicht um die Hügel, sondern wuchsen in die Ebene hinaus. Roberto lernte, daß es immer so anfing, wenn Minengänge gegraben wurden. Waren diese Gänge erst einmal an der Stadtmauer angelangt, würden sie auf dem letzten Stück mit Pulverfässern gefüllt werden. Es galt also zu verhindern, daß die Grabungen einen Punkt erreichten, von dem aus sie unterirdisch fortgesetzt werden konnten, sonst würden die Feinde von jenem Punkt an in Deckung weitergraben können. Bei dem ganzen Spiel ging es darum, von außen und im Freien den Bau von Gängen zu verhindern und selber Gegengänge zu graben, bis die Entsatzarmee eintraf -
    vorausgesetzt, daß die Lebensmittel und Munitionsvorräte so lange reichten. Bei einer

Weitere Kostenlose Bücher