Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)
allerbefremdlichste Alter: Das Kind von gestern begreift, dass es auf der Schwelle zur Erwachsenenwelt steht. Ja, innerlich ist es überzeugt, bereits erwachsen zu sein, aber nicht sicher, dass die anderen das ebenso sehen: seine grauslige, piepsige, sich brechende Stimme mag sie täuschen, auch seine noch schwach entwickelten Muskeln, aber vor allem ihre eigene Erinnerung an das Kind, das der junge Mann (du) kürzlich noch war. Aber nichts verletzt in diesem Alter mehr als die Bemerkung, man habe noch lebendig vor Augen, »wie du
soo
warst«.
Und wir gehörten nun mal zu dieser Sorte Leute.
Aber wir besaßen Grips genug, für die beiden Tage einen parallelen Kurs einzuschlagen; du hast einfach weitergemacht wie bisher, hast morgens gebadet, dann dir Buchweizengrütze gekocht, gegessen, den Hammer ergriffen … Der Hammer war pausenlos zu hören, als wärest du nicht am Bauen, sondern Einreißen, am Einreißen der Wände, die dich vom Erwachsensein trennten, und wolltest uns – deinen Vater, deinen Bruder und die Freunde deines Vaters – durch das gigantische Ausmaß deiner Arbeit zwingen, dich ernstzunehmen. Als unseresgleichen zu nehmen. Mag sein, dass es dir nicht ganz geglückt ist, doch das Befremdliche und Stumm-Dramatische der Veränderungen, die mit dir vorgingen, habe ich jedenfalls im Gedächtnis behalten. Nicht mehr Junge, noch nicht junger Mann … Ein großer schweigsamer Junge, dem Kind, das ich früher gekannt hatte, so unähnlich … Abends bist du zu dem Alten gegangen. Der Alte sah seine Netze durch, pflückte mit knotigen Fingern anklebende trockene Schuppenreste, wassergeschwärzte Gräser, manchmal sogar einen verschrumpelten, blinkergleich blitzenden Fisch ab. In der grün verlöschenden Dämmerung glitt seine Kutka – ein Einbaum aus einem ausgehöhlten Eschenstamm – aus dem Schatten des Seeufers hervor auf den blanken Wasserspiegel: schließlich war er Fischer. Mit dem erwachenden Frühjahr zog es ihn hinaus, dann sah er seine Netze durch wie Brokatgewebe, flickte die alten, knüpfte neue, wobei er unterm Geklapper der Ringe unentwegt jammerte: »Lasst den Großvater raus aufs Meer …« Er war ein grandioser Erzähler, Schauspieler, Märchenkenner, Possenreißer. Du warst damals ständig mit ihm zusammen, hast uns, hast sogar deine Altersgenossen gemieden, hast gierig seine Klugheit aufgesogen. Damals war ich zum ersten Mal neidisch auf dich: auf deine besondere Nähe zu dem Alten wie auf deinen Charakter, der in Windeseile heranreifte und sich festigte dank der unsichtbaren Gegenwart deines Vaters. Mein Erwachsenwerden vollzog sich vaterlos: ungeschickt, stümperhaft. Der Vater hatte mir Kräfte vermacht, aber mich nicht gelehrt, mit ihnen umzugehen. Um Beharrlichkeit zu lernen – gewöhnliche
sich verbeißende
männliche Beharrlichkeit – brauchte ich Jahre, du dagegen nur einen Sommer: jenen Sommer, den du allein im Forsthaus verbracht hast, als du einfach deinen Vater nachahmtest, der, von unserer Stippvisite abgesehen, nicht in Reichweite war …
An genau diese Verbissenheit erinnerte ich mich wenige Jahre später, als ich meine zweite Kolgujew-Reise vorbereitete und feststellen musste, dass nicht einer von all denen mitkommen würde, die, begeistert von meinen Erzählungen, unbedingt mit mir in den Hohen Norden hatten auf brechen wollen. Ich hatte damit gerechnet und machte niemandem einen Vorwurf: Die Begeisterung war echt gewesen und die Absicht mitzukommen nicht gelogen; es war einfach zu viel Zeit vergangen … Und jeder hatte zu viel um die Ohren … Aber der Verrat eines meiner Freunde, ein praktizierender Anästhesist und eingefleischter Abenteurer, hätte mich um ein Haar einknicken lassen, denn auf ihn hatte ich offengestanden gezählt. In der Zeitschrift hatte ich mein Projekt
im Prinzip
durchgeboxt, ich hatte den Chefredakteur überzeugen können, dass ich einen Kompagnon brauchte, dem der
Ogonjok
ebenfalls eine Dienstreisebescheinigung ausstellt und ein Honorar in selber Höhe wie meines zahlt. Es fehlten nur noch zwei Kleinigkeiten: der Redaktion das Geld, das irgendwo zwischen Bank und Buchhaltung hängengeblieben war, und mir der Kompagnon, den ich hätte präsentieren können, um zu bekräftigen, dass es mir mit meinen Forderungen ernst war. In dieser Situation mochten nach dem Gesetz der sympathetischen Magie mit der Expedition zusammenhängende
Umtriebigkeiten
(der Kauf irgendwelcher Ausrüstungsgegenstände, von Filmen oder wenigstens einiger Konserven) die
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