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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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Straßengraben schlidderten. Unbestreitbar lag Begeisterung in diesem außerordentlichen Kraftakt, diesem Versuch, die Erdanziehung zu überwinden:
    »Uuund los! Uuund los!«
    Auf einer winzigen Schotterflanke greifen die Räder, und unser Treckerchen beginnt, mit laut aufschnaubendem Zweitaktmotor, käferhaft hartnäckig, sich über den Schotter bergan zu arbeiten … Und bei einem Blick auf dich dämmert es mir plötzlich. Plötzlich
weiß
ich, dass meine ganze verquere Suche nach einem Weggefährten dumm und überflüssig war – weil es nämlich keinen besseren als dich gibt. Denn wahrlich glücklich ist eine Expedition, zu deren Mannschaft wenn schon kein Kapitän von fünfzehn Jahren, so immerhin einer von sechzehn gehört! Und wie wunderbar sind die Rollen, die diese Altersverteilung aufgibt!
    Ich brauchte, um meine Expedition zu verwirklichen, einen Freund; und du brauchtest eine Expedition, denn an etwas dieser Art sollte ein junger Mann mit dem Namen Glasow und dem Schulabschluss in der Tasche schon teilnehmen. Umso mehr, als dein Vater gerade auf der
Akademik Fjodorow
an einer Transartika-Expedition teilnahm und dein Bruder mit einem Stipendium der Berliner Humboldt-Universität zu den Kommandeurinseln aufgebrochen war. Da musstest du deine Karte ausspielen. So trafen wir einander, und so waren wir einander gleichgestellt, mein Freund. Ein Freund – das ist die Möglichkeit, jederzeit die Kräfte dort zu verdoppeln, wo die eigenen nicht ausreichen. Ein Freund – das ist derjenige, der deine Berufung zu teilen bereit ist. Ein Freund – das ist ein zusätzlicher Zylinder im Motor. Die Hoffnung.
    Als ich im
Ogonjok
sagte, ich hätte meinen Reisegefährten gefunden, den sechzehnjährigen Kapitän Pjotr, fragte der Chefredakteur mit einem gutmütigen Lächeln, als wolle er sich bloß rückversichern:
    »Aber der Geburtstag war schon?«
    Ich glaubte, er hätte Bedenken wegen der nötigen Papiere, und sagte, das sei alles geregelt, der junge Mann habe kürzlich seinen Ausweis bekommen.
    »Von mir kriegt er keine Dienstreisebescheinigung.«
    Leise und ruhig, die Stimme, das schmale Gesicht mit dem Strich von Mund gelassen, fast gleichgültig; mehrfach senkt er die Augen, um mich dann plötzlich mit eisiger Kälte zu fixieren – damit kein Zweifel daran auf kommt, dass er genau weiß, wovon er spricht. Ich spüre, dass ich in einen Hinterhalt geraten bin: dieser Mann ist sehr vorsichtig, von der Vorsicht eines Doppelspions, einer grenzenlosen Vorsicht, die all meine Pläne zunichte machen kann – denn in seinen Augen steht ein Urteil, das ich lesen kann: Die Redaktion darf an dieser Schnapsidee
in keiner Weise beteiligt sein
, falls es Unannehmlichkeiten gibt.
    Falls wir zum Beispiel umkommen. Kann doch passieren, oder? Es kann. Der Hubschrauber kann abstürzen, das Boot kentern, ein verirrter Eisbär uns zufällig in die Quere kommen … Zu einem anderen Zeitpunkt hätten mir diese hypothetischen Gefahren den Schweiß auf die Stirn getrieben, aber jetzt blieb mir keine Frist, ich musste etwas finden, was den Chefredakteur der Zeitschrift
Ogonjok
sofort und grundlegend beruhigen konnte.
    »Ich habe mit seinem Vater gesprochen … Er ist bereit, schriftlich zu erklären, dass er, selbst wenn es zum Äußersten kommt, gegenüber der Zeitschrift keine Ansprüche geltend macht …«
    Das beruhigte den Chefredakteur. Das kalte Feuer in seinen Augen erlosch, seine Lider senkten sich:
    »Von mir kriegt er keine Dienstreisebescheinigung.«
    Punkt.
    Abends rief ich Freunde in Narjan-Mar an, erzählte, dass die Sache schon wieder stockte, und ich wahrscheinlich doch alleine kommen würde. Dabei stellte sich zufällig heraus, dass Kolgujew, obzwar nach wie vor in Grenzgewässern, weshalb auch immer kein Sperrgebiet mehr war. Das hieß, Petka brauchte keinen Passierschein mehr – und folglich auch nicht unbedingt eine Dienstreisebescheinigung. Einen Pass für den Kauf des Flugtickets besaß er, und ich verfügte über ein bisschen Geld für unterwegs. So dass uns nichts mehr auf halten konnte.
    Die Frau, die ich mit den letzten zweihundert Dollar zurückließ, war meine Liebe und die Mutter meiner Kinder – begreif das, Pjotr, und bedenke ihre tiefe Klugheit: Auch sie hätte an die »Unannehmlichkeiten« denken können, die mir – und somit auch ihr – zustoßen mochten, aber sie hat an das Glück gedacht, das uns jenseits der Reise erwarten würde, an die Kraft und die Schätze, die ich von dort mit zurückbringen

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