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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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hat keinem König gedient, konnte sich des Blutvergießens nicht rühmen und natürlich auch nicht damit rechnen, zum Olymp emporgehoben und zwischen die Unsterblichen gesetzt zu werden.
    Außerdem wurde Nikita nur vier Mal auf die Probe gestellt: flößte Holz, fing Fisch, errichtete Seezeichen und verlor auch dann nicht den Mut, als es für ihn wie für jeden definitiv entkulakisierten Sowjetmenschen nichts mehr zu hoffen gab. Weder, dass die Götter eingriffen, noch, dass sein Schicksal sich plötzlich wenden könnte.
    Seine Prüfungen begannen kurz vor dem Krieg, als die Holzlieferungen aus Archangelsk aussetzten und auf einer Versammlung beschlossen wurde, Schwemmholz herbeizuschaffen, wovon es einen Haufen an der Westküste gab, und zu Brennholz zu zersägen. Der Inselvorsitzende hielt eine Ansprache. Die Sache sei einträglich. Du schaffst die Stämme ran, sagte er, verkaufst sie als Brennholz und hast abends ein warmes Essen im Bauch. Bloß, wer machts? Es meldete sich keiner. Also wurde beschlossen, die damit zu beauftragen, die nicht in die Sowchose gegangen waren: Nikita und die Brüder Winukan. »Es langt«, wurde ihnen gesagt, »ihr habt euch in der Tundra rausgefuttert, jetzt schafft mal Holz ran.« – »Zu dritt?« – »Ja wie viele Leute braucht ihr denn?«
    Das erste Floß aus hundertzwanzig Hölzern stellten sie zwanzig Kilometer vom Dorf in der Waskina-Mündung zusammen und zogen es wie Treidler durch die Kanäle und das Flachwasser, manchmal selber bis zur Brust in der eisigen See. Der auflandige Wind trieb das Floß der Küste zu, die Wellen gingen hoch: einen Moment nicht aufgepasst und du bist zerschmettert. Endlich im Dorf, überlegen sie, wenn wir so weitermachen, holt uns der Tod. Also ging Nikita zu russischen Seeleuten und lieh sich gegen zwei Rene ein Boot, um die Flöße übers Meer zu ziehen. Von da an lief die Sache gut, sie schafften das nötige Holz heran.
    Aber auf der Versammlung wurde wieder gemurrt: »Der reiche Ren-Nikita, Nikita der Schlaukopf – hat sich die Arbeit leicht gemacht, hat die Stämme nicht selber gezogen, sondern mit dem Boot geholt.«
    Nur der Faktoreileiter Malygin ist für ihn aufgestanden: »Was gibts da zu reden, es waren seine Tiere. Er hat den Plan erfüllt – wie, das ist seine Sache.«
    Dem musste der Vorsitzende beipflichten. Aber das hat ihn nur mehr aufgestachelt. Bei der nächsten Gelegenheit ruft er Nikita und sagt: »Hab hier noch eine Planaufgabe für dich, Nikita, wo du so ein Schlaukopf bist. Wir brauchen Fisch. Mal sehen, wie dir dein Reichtum diesmal hilft.«
    Bevor die Erdölarbeiter kamen, gab es im Osten einen großen See, den Pestschanoje, mit Saiblingen, Moränen, Forellen. Aber wer faul ist, fängt nichts. Nikita machte sich mit Gefährten auf, suchte die Fische per Boot, denn: Fisch muss man suchen, nicht warten, bis er von selber angeschwommen kommt. Den ganzen See haben sie abgesucht und schließlich ein großes Netz ausgeworfen. In jeder Masche hing einer. »Verdammter Fisch«, lachte Nikita. »Geht der von allein ins Netz, und so, dass mans nicht mehr rauf holen kann …«
    Sie lieferten den Fang ab, der Vorsitzende musste ihm wieder den Lohn zahlen. Es war schon Krieg, aber Nikita bekam drei Kisten Kuhbutter und mehrere Säcke Mehl, mal wieder zum Neid der anderen. Was können wir nur mit ihm machen? Sie stellten ihn zu Erdarbeiten ab: Gräben für schweres Artilleriegeschütz ausheben. Er machte seine Arbeit. Abends bekam er dafür seine staatlichen zweihundert Gramm – mal hat er Bekannte mit dem Tröpfchen bewirtet, mal den Wodka gegen was andres getauscht. Und freundete sich mit den russischen Artilleristen an, spielte mit ihnen das »Eisenspiel« – wer ein Zwei-Pud-Gewicht am weitesten über den Kopf hinweg nach hinten schleudern kann.
    Trotzdem, einmal hat er eine Planaufgabe nicht erfüllt. Da freute sich der Vorsitzende. »Diesmal kommst du nicht ungeschoren davon«, sagt er. »Morgen komm ich mit der Waffe, dich verhaften.« – »In Ordnung«, erwidert Nikita. »Aber sobald ich dich sehe, nehme ich meine eigene Flinte und knall dir wie dem letzten Seehund eine Kugel zwischen die Augen. Deshalb komm besser nicht morgen, lieber übermorgen – damit ich weiß, dass du ohne Flinte kommst.« Sie konnten ihm nichts anhaben. Nur ihm sein Leben lang Arbeiten auf bürden: ob Militärmaterial transportiert werden musste oder eine geodäsische Expedition über die Insel gefahren – immer war Nikita an der Reihe. Das hat

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