Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)
anscheinend nichts Heldenhaftes, und ich habe ja auch nicht zum Scherz gesagt, dass Nikita im Vergleich zu Herakles
nur
alles geduldig ertrug. Volle vier Jahre, vier Jagdsaisons und vier Sommer, in denen ein Tundrabewohner mit seinen Renen umherziehen müsste, haben die Expeditionen ihm geraubt. Es brauchte bloß irgendwer mit einer Anordnung zu den Vermessern zu kommen, schon holten sie Nikita von seiner eigenen Arbeit weg. Im Sommer musste er über die Insel fahren und Orientierungspunkte für die Baken auskundschaften, im Winter das Holz vom Strand auf die Kuppen schaffen. Wer könnte zusammenrechnen, wie viele Stämme er transportiert hat? Auf dem Artelny Sopok sollte ein großes Seezeichen errichtet werden – zweihundert Stämme hat er dort raufgeschafft, aber die Bake ist nicht gebaut worden. Das Holz lag herum, bis die Hirten es zuletzt verfeuert haben. Im Sommer drauf wieder die Vermessungsleute und im Winter wieder das Holz – alles mit seinen eigenen Renen. Ein Glück, dass der Russe Arkadi die Stämme mit dem Brecheisen auf dem Ufer für Nikita zum Abtransport zurechtgelegt hat.
Einmal war Nikita gerade am Aufladen. Ackerte so sehr, dass ihm das Wasser runterlief. Siehst ja ganz elend aus, sagte da Arkadi zu ihm und zeigte auf seine nasse Stirn, mach mal langsam, musst dich doch nicht totschuften. Arkadi hatte alles begriffen und war wütend. Er zog seinen Pelzmantel aus, stand nur noch im Pullover da. Und packte mit an. Zwei Schlitten hat er beladen, während Nikita einen schaffte. Haben sie was gelacht! Und sind von da an wie Brüder gewesen. Sobald Arkadi zum Tschum kam, rannten die Kinder los, Teewasser aufsetzen. Die Rene wurden ausgespannt, dann hat sich Arkadi gesetzt, hat seinen Tabaksbeutel hervorgeholt und eine Kippe für die Anka gedreht, die war damals sechs, und eine für Filipp, Nikitas fünfjährigen Sohn, dann für sich selber und Nikita. Als sie fertig waren, da hat Nikita Arkadi zum Abschied ein Fass eingesalzenes Renfleisch geschenkt: dessen Verwandte aus Archangelsk hatten geschrieben, dass sie ein Fuchsfell gekocht und gegessen haben, so schlimm war der Hunger …
Auch für diese Arbeit bekam Nikita Geld. Viel Geld, die Expeditionen zahlten gut. Eine Damenhandtasche hat er damit vollstopfen können, so, dass sie nicht mehr zuging. Und dann ist er endlich zurück in die Tundra, zur Familie, mit dem Geld. »Aber stell dir vor: Als es neues gab, da ist keiner, aber auch keiner, gekommen, mir Bescheid sagen. Das ganze Geld war futsch.« Das war im Jahr siebenundvierzig. Wieder einmal der Neid.
Gold klingt dumpf und hallt laut wider, Gold blinkt stumpf und sticht ins Auge, Gold redet nicht und lässt das Gerede nicht verstummen. Des Goldes wegen verziehen die Menschen Nikita nicht, obwohl er längst keines mehr besaß. Nach und nach hatte er es bei den Russen vom Sewerny-Leuchtturm gegen Kondens- und Trockenmilch und Zucker eingetauscht: verschiedene Verwandte hatten ihm zu verschiedenen Zeiten Kinder aufgehalst, viere, dazu der Krieg, wollten alle ernährt sein. Sogar der Sohn von Jegor ist zu ihm geflüchtet vorm Vater, weil der aus lauter Neid ein finsteres Gemüt bekommen hatte.
Aber Nikita warb auch nicht darum, dass sie ihm verziehen. Er lebte, wie er es für richtig hielt. Manchmal riefen sie ihm zu: »Nikita, wir haben heute frei. Warum arbeitest du?« Er darauf: »Wenn ich tot bin, hab ich jeden Tag frei. Was soll ich da jetzt die Hände in den Schoß legen?«
Deshalb ist der Reichtum auch immer wieder zurückgekommen. Er wusste, was seine Arbeit wert war und hat sie nie unter Preis gemacht. Manchmal, wenn er mit jemand nicht handelseinig wurde, sagte er zu seiner Frau: »Der sitzt jetzt bestimmt da und heult vor Ärger.« – »Wieso, habt ihr einen schlechten Handel geschlossen?« – »Nein, einen guten, aber er war so geizig, dass ihm die Summe leidtut.«
Außerdem trank Nikita nicht. Einmal, da hätte er gern einen gehoben: Als sein Sohn vom Internat heimkam, lag just gerade vor der Insel ein Dampfer und war auf dem Strand der Handel im Gange. Die Seeleute kennen nur eine Währung: Wodka. Ein kräftiger Kerl kam mit sechs Flaschen zu Nikita ins Haus, die er gegen zwei Seehundfelle eintauschen wollte. Nikita schaut auf die Flaschen, auf die Häute: Nein, die sind mehr wert, ergeben eine Mütze, und für Stiefel reichts auch noch … Nikita nimmt die Flaschen vom Tisch. Der Matrose freut sich schon: Welcher Nenze widersteht schon dem Wodka, muss er gedacht haben, und
Weitere Kostenlose Bücher