Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)
zurück« fort in die Tundra.
Was macht diese Erzählung so bemerkenswert? Zunächst einmal die Tatsache, dass Soboljew freiwillig aus seiner gewohnten Wirklichkeit fortgeht, einer märchenhaften Schönheit hinterher, die er im Traum gesehen hat, und obendrein verschwindet er offenbar genau dorthin – in den Traum, ins Märchen. Und zwar just, als er den einzigen Beweis dieses
parallel
in der Welt existierenden Wunders verliert. Nichts vermag besser zu belegen, dass er dem schönen Mädchen tatsächlich begegnet ist, als der Stein (was gäbe es übrigens Stofflicheres als Stein?); aber die Art, wie er sie traf – im Schlaf –, ist seltsam. Wenn man in Betracht zieht, was wir heute über die Träume und ihre Rolle in der Kultur verschiedener Völker wissen, so können wir kühn behaupten, dass die Begegnung
tatsächlich stattgefunden hat
und nicht einfach nur von Soboljew »geträumt« wurde. Die Frage,
wo
sie stattfand, bleibt offen, wie auch die Frage von Soboljews Schicksal.
Aber nicht zuletzt ist diese Geschichte auch deshalb bemerkenswert, weil ich eine identische auf Kolgujew gehört habe.
Erzählt hat sie natürlich Grigori Iwanowitsch Ardejew, und zwar nachdem Alik, Tolik und ich während einer nächtlichen rasenden Fahrt durch die Tundra geradewegs beim – nicht eingestürzten – Siirtja-Sede (dem Siirtenhügel) herausgekommen waren, der sich als perfektes Halbrund an der oberen Gorelaja erhebt. Aus der Tundra zurück, verbiss ich mich mit Zähnen und Klauen in Grigori Iwanowitsch, bot ihm Tee und Wodka an und tat überhaupt alles, wie es sich gehört, bis er endlich redselig wurde. Vielleicht sollte ich hier unser Gespräch wiedergeben, damit klarer wird, woher die Idee, noch einmal auf die Insel zu fahren, stammte. Noch einmal extra, um … Um es wenigstens probiert zu haben. Eine Begegnung mit ihnen.
Den Siirten, versteht sich.
»Der Siirtja-Sede an der Gorelaja, da wo ihr rausgekommen seid, also der Siirtenhügel, die kleine runde Kuppe, da wohnen die Siirten. Wenn so eine Wohnstätte verwaist, stürzt die Kuppe ein. Es gab mal eine richtig große, die hieß Chanjuj-Turm, wir sind da mal gewesen. Die ist restlos eingestürzt. Da ist jetzt ein See. Ein tiefer. Und dann gabs noch eine kleine. Von der ist nur ein Trichter zurückgeblieben. Ein vollkommen toter. Nicht mal mit Wasser drin … Aber Wasser müsst es doch geben? Das müsst sich doch drin sammeln? Aber nein. Nur eine Wiese. Brottrocken. Mit Gras, so hart, dass es pfeift.«
»Und wer genau sind diese Siirten?«
»Leute, unterirdische. Menschen halt. Gute, von früher. Aus früheren Zeiten so.«
»Haben sie vor den Nenzen hier gelebt?«
»Ja. Das war ehedem ihr Land. Stand doch auch in
Wokrug Sweta
50 ? Dass da dieser Arzt auf Siirten gestoßen ist? Der ist jetzt schon tot. Das war auf der Kanin-Halbinsel. In einer Höhle. Sie haben alles, und sie hören gut und stehen miteinander in Verbindung, wie über Funk.«
»Aber geben sie heute irgendwie ein Lebenszeichen von sich?«
»Ja, ja, ja. Irgendwie schon, denk ich.«
»Wie denn?«
»Nun, wie der Schneemensch so.«
»Aber der hinterlässt manchmal Fußspuren oder pfeift oder klopft mit einem Stein. Sogar zu sehen kriegt man ihn manchmal!«
»Sowas glauben die Leute hier auch. Sowas wurde ehedem auch erzählt, dass jemand einen Siirten da oder da gesehen hat. Jetzt nicht mehr.«
»Und existieren sie heute noch, Ihrer Meinung nach?«
»Meiner Meinung nach … vielleicht, vielleicht auch nicht. Wie der Schneemensch: Existiert er, oder existiert er nicht? So sehen die Leute das hier. Weil, früher,
als der Großvater noch klein war
, da hat sie ab und zu noch wer gesehen. Selten, aber ab und zu haben sie sich noch gezeigt.
Einmal hat jemand gesehen, wie ein Siirtenmädchen nach Wasser geht. Plötzlich merkt sie, dass jemand sie beobachtet, da ist sie in eine Kuppe rein, und weg war sie. Aber keine Tür, nicht die Spur von einer Tür! Und geblinkt hat sie über und über von ihrem Schmuck. Und in der Hast ihre Eimerchen zurückgelassen. Ich weiß nicht, bei wem die jetzt sind …
Dann hat mir der Großvater noch erzählt, wie einer sich verfahren hat, verirrt. Mit einmal steht der Bolschoje Serdze vor ihm. Er hält an. Es hat ein heftiger Schneesturm getobt, keine Ahnung, wieviel Tage schon. Manchmal dauert sowas eine Woche. Der Mann ließ die Rene frei und legte sich auf den Schlitten. Und der – fährt mit einemmal stracks in die Kuppe, und die geht zu. Drinnen waren
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