Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)
den größeren Küstenflüssen«, und »das Mündungsdelta der Pėчóra ist vorzugsweise daran reich«. In seiner eigenwilligen, der Phonetik Rechnung tragenden Notation listet Schrenk unter anderem die Namen Kúja, Norýga, Vėljt, Korotáïha, Kónзėr, Vándėh auf, die für ihn eigentümliche Spuren dieses untergegangenen siirtischen Volks darstellen, das er mit den Tschuden gleichsetzt, jenem »Fremdvolk« aus der Nestorchronik, von dessen rein finnischer Abstammung er überzeugt ist. Weiterhin verweist Schrenk auf pomorische Erzählungen, die von einem Krieg zwischen den Nowgoroder Russen und den »Чuden« berichten. Diese wurden an einem Fluss von ihren Feinden »sämmtlich niedergemacht« oder fanden »in den Wellen des Stromes ihr Grab«, »welcher noch bis auf den heutigen Tag den Namen des Blutflusses, Krovávaja Plósa, führt«. Mit seiner Aufmerksamkeit für die Sprache der Toponyme hat Alexander von Schrenk der Wissenschaft einen guten Dienst erwiesen: In seinem Gefolge wurden noch zahlreiche andere Ortsnamen tschudischen Ursprungs entdeckt, darunter einige russifizierte, wie zum Beispiel der des Dörfchens Welikowisotschnoje – ein Name, der auf den ersten Blick völlig russisch anmutet, in Wahrheit aber das tschudische Wort »Wiska« (Flüsschen) enthält. Ebenso fand man unzählige nenzische Örtlichkeiten, deren Namen durch irgendeine kleine Bedeutungsschattierung auf ihren Zusammenhang mit den Siirten hinweisen: etwa die Flüsse Siirteta und Siirti-Jacha, ebenso eine Vielzahl von Hügeln: Sirtes, Siirte-Mja (»Siirten-Tschum«), Siirtja-Sede usw.
Bereits im 16. Jahrhundert wiederum hatten holländische Seefahrer bei ihrem Vorstoß nach China über die »Nordostpassage« auf der Insel Kildin vor der Murmansker Küste saamische Erdhütten gesehen. Der Chronist der Forschungsreise, Pierre Martin de La Martinière, erwähnt in seiner höchst effekthascherischen Beschreibung unter anderem die »Borandier«, die sie unweit des Kaps Warandaj – also rund zweihundert Kilometer östlich des Petschora-Deltas – gesichtet hätten: Sie fuhren in Booten aus »Thier-Fellen« zwischen »Eiß-Schollen« und ihre Kleidung »bestund aus Thier- und Fischhäuten«, die sich stark von jenen der Nenzen unterschieden, auf die die Holländer ebenfalls und wiederholt gestoßen waren.
Ins Russische übersetzt wurden die Reisebeschreibungen von La Martinière wie auch die von Jan Huygen van Linschooten und Gerrit de Veer, dem Chronisten der letzten Fahrt von Willem Barents, erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die russische Öffentlichkeit ihr Augenmerk plötzlich auf den Hohen Norden richtete. 52 Erst da entdeckte man, dass etliche sehr alte Quellen von der Existenz einer unbekannten Ethnie an der Nordpolarmeerküste sprechen, so auch zum Beispiel (in den Kapiteln über die Slawen und andere noch weiter nördlich lebende Völkerschaften) die mittelalterlichen arabischen Kosmographien, die letztlich komplexe Kompilationen von Zitaten aus einer Handvoll anderer Werke darstellen, insbesondere aus Ibn-Fadlāns
Reise
, die er nach der Rückkehr von seiner Gesandtschaft zu den Wolgabulgaren im Jahre 922 verfasste.
1929 entdeckte Waleri Nikolajewitsch Tschernezow einen siirtischen Siedlungsplatz beim Kap Tiutej-Sale an der Nordspitze der Jamal-Halbinsel. In einem Dreieck zwischen Meeresküste und Fluss untersuchte seine Expedition zwei Erdhütten sowie zwei Dünenhügel. Die zahlreichen Objekte, die dort und im näheren Umkreis gefunden wurden, sind ohne jeden Zweifel einer Kultur von Küstenjägern zuzurechnen: Walrossknochen, Keile und Wetzsteine aus Sandstein, eine roh behauene Pfeilspitze aus Rentierhorn, Paddelgriffteile, ein schöner Hornlöffel, ein feines Holztäfelchen mit einer Einbuchtung in der Mitte, »zweifellos Bruchstück eines Gegenstands, vielleicht einer Maske«; des Weiteren ein Holzmesser von vermutlich kultischer Bedeutung und Scherben von Gefäßen aus gebranntem Lehm, mit starker Quarzsandbeimischung und vor dem Brennen innen mit Gras geglättet.
Eisen wurde nicht sonderlich viel gefunden: das Fragment eines verrosteten Messers, eine gabelförmige Pfeilspitze, ein Ring, ein Fellschaber und »einige unförmige Bruchstücke«.
Bronze und Kupfer wurden »in Form kleiner Plättchen« gefunden.
Der Norden der Halbinsel Jamal gehört bereits zur arktischen Wüste. Der in die Dünen fahrende eisige Wind, die Bänder aufgewirbelten beißenden Sands, die es die endlosen Karasee-Strände hinabtreibt,
Weitere Kostenlose Bücher