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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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Höhle war bei den Jarej-Seda, also den Sandkuppen. Dort standen den Sommer über unsere Tschums, rundherum war alles voller Wolfsspuren. Aber unsere Herde haben sie eigentlich in Frieden gelassen. Weil die anscheinend in ihrem Revier war. Aber die Herde von unsern Nachbarn, die haben sie angegriffen.
    Haben sich lang gehalten. Bis 1961.
    Insgesamt halte ich den Polarfuchs für das stärkste Tier. Warum? Weil, stell dir vor, was der für eine Last schleppen kann: ein Fuchseisen mit »Boje« (das ist eine Stange, ein mit Nägeln gespicktes Stück Holz). Könntest du das lang schleppen? Er ja. Einmal gegen Frühjahr hab ich gesehen, wie einer ein neugeborenes Kalb fortschleppt: Was kriecht denn da über den Abhang, hab ich mich gefragt. Ein Polarfuchs, der ein Kalb schleppt! Na, den will ich zum Bach abdrängen! Hat er seine Beute fahren lassen und ist übers Eis davon, und mein Hund, der war schwer und ist eingebrochen, hab ihn nur mit Müh und Not wieder rausfischen können mit dem Tynsej (
der Fangschlinge
).
Die großen Steine
.
    Der größte Stein liegt auf dem Westhang der Malaja Doroschkina-Kuppe. Groß wie ein Zimmer. Und unvorstellbar schön! Schöner als die Zarenkrone. Bei Sonne schimmert er in allen Farben. In meiner Kindheit, wenn unsre Tschums in der Pestschanka-Niederung – grad hinter der Kuppe – standen, dann sind wir da manchmal hin. Bist einfach hin und hast ein Weilchen auf dem Stein da gesessen … Der war vielleicht was von warm …
    Die Tschums standen beim Wenukan din (Wenukan-Speicher). Eigentlich hat den Speicher der Purpej gebaut, aber es gab da einen Afonja, einen angenommenen Sohn vom Purpej, oder vielleicht auch Lieblingsarbeiter vom Purpej. Jedenfalls, sein Spitzname war Wenukan (»Hundeschlitten«, auf Nenzisch), und dem hat er den Speicher geschenkt. Und daher: Wenukan din.
    Im Pestschanka-Gebiet, da im Osten, gibts viele Steine, ganz verschiedene: weiße, rote, gelbe. Dort war früher unser Land. Und der Spitzname vom Großvater war Tosni: »Unterlauf«. Also, aus den Niederungen vom Unterlauf der Pestschanka.
Die Bobrikow-Inseln
.
    Der Großvater konnte lesen und schreiben, aber seiner Erinnerungen, die waren unerschöpflich. Zum Beispiel an die Bobrikowy ostrowa. Die sind auf den Landkarten eingezeichnet, im äußersten Westen. Einmal kam ein Geologe zu mir, ein Meister von der Arktischeskaja, der Bohrinsel, und fragt:
    »Gibt es hier Biber?«
    »Biber? Ja, was sollen die denn hier benagen, das Eis oder was?«
    »Aber hier auf der Karte, da steht doch
Bobrowye ostrowa …
«
    »Nicht
Bobrowye ostrowa
– »Biberinseln«, sondern
Bobrikowy ostrowa
– »Bobrikow-Inseln« …«
    Wie es zu dem Namen kam? In den 1880er Jahren ist da so im August mal ein Boot gestrandet mit zwei Männern von drüben, vom Festland – ein Russe, ein Nenze. Vielleicht Fischer oder sowas. Nun, und der Nenze hieß Bobrikow.
    Russen haben manchmal schrecklichen Kohldampf. Die beiden waren schon ganz ausgehungert, und auf der Insel gabs Moltebeeren. Bobrikow sagt zu dem Russen: Iss aber nicht zu viel davon, besser nur ein paar … Dann ist er eingeschlafen, und der Russe hat zu futtern angefangen – und nicht mehr aufgehört damit, bis er satt war. Anderntags kriegt er Magenkrämpfe, aber kacken kann er nicht. Aus ists, Bobra, sagt er, ich sterbe …
    Bobrikow darauf: Nimm einen Stock. Aber mach ihn stumpf, damit du dir den Arsch nicht aufreißt … Und dann haben sie angefangen dem Russen seinen Arsch auszuräumen. Bobrikow hilft ihm, und der Russe schreit die ganze Zeit: Grab, Bobra, grab! Grab, grab, grab! So hat der Bobrikow den Kerl kuriert …
    Andre haben die beiden gefunden und die Geschichte erfahren. Und seither heißen die Inseln Bobrikowy ostrowa, Bobrikow-Inseln. Ich bin da nur einmal gewesen. Bin mal mit Renen drübergefahren. Was für Wild es da gab! Massenhaft Enten! Und Eiderenten in rauen Mengen!
    Jetzt ist davon nichts mehr übrig. Die Insel ist unter dem Bohrturm verschwunden. Da gibt es reines Erdöl, Gold, aber kein Anzeichen von einer Insel mehr …
Der prophetische Traum
.
    Früher wurden die Wahlurnen mit dem Renschlitten zu den Lagerplätzen gebracht. Einmal, im März, da bin ich spät los, dazu noch bei Schneetreiben. Ein kräftiger Bodenwind. Ich komme bis zu den Sobatschije Sarlopy, wo es Schluchten gibt an der Jelzowa Tarka, am Oberlauf. Da bin ich mit dem Gespann runter auf eine Schluchtsohle geraten, und wusste nicht, wie da wieder rauskommen. Ich hab versucht, eine Stelle zu

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