Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)
und andere Geister in die Höhe tragen.)
Warum das? Drei Jahre nach dem Tod muss die Seele eines Verstorbenen zum Himmel hinauffliegen. Drei Jahre lang musst du wenigstens ein-, zweimal im Jahr zum Grab deines verstorbenen Verwandten gehen und dich an ihn erinnern. Du musst mit ihm reden, ein Feuer machen, etwas zurücklassen, damit dein Geruch und deine lebendige Kraft die bösen Geister vom Grab fernhalten. Andernfalls verfault die Seele. Sind die drei Jahre um, hast du deine Pflicht erfüllt. Die Seele fliegt in den Himmel. Aber wie sie dort hinfliegt, weiß ich nicht! In meiner Vorstellung umgeben sie gute Geister. Einer gleicht einer Eule, ein anderer einem Ren. Und die Kette, die Verbindung der Seele mit der Erde, zerreißt …
»Das Erlöschen der Sterne«.
(Senkrecht herabfallende Meteoriten mit Menschengesichtern.)
Warum das? Weil unsere Leute, wenn sie einen erlöschenden Stern sehen, sagen: »Oh, da ist wieder von irgendwem ein Verwandter erloschen.« Das heißt, sein Geist stirbt, und er existiert überhaupt nicht mehr. Wenn ein Stern schnell erlischt, dann ist es ein Mensch, wenn es lange dauert, dann ist es ein ganzer Klan. Die Nenzen glauben nicht an die Unsterblichkeit der Seele. Die Seele verschwindet. Eben so, als ob sie erlöschen würde. Genauso im philosophischen Verständnis: Auch der Mensch erlischt. Also, du arbeitest und arbeitest und gibst den anderen Wärme. Und wie ein Stern erlischst du.
»Vor der Beschwörung«. Nachts in der Tundra. Der Schamane ruft sich die Geister ins Gedächtnis, die erscheinen sollen. Die Trommel in seinen Händen ist wie der Mond. Ehe er mit seinen Beschwörungen beginnt, schlägt der Schamane die Trommel und fragt: »Geister, die ich kenne, seid ihr erschienen oder nicht?« Und sobald er Antwort bekommt, beginnt er mit der Beschwörung. Hier, da wartet er und horcht mit wachem Ohr.
»Der Geist des Windes«. Da ist er. Er bringt sogar einen Baum zu Fall, die Tiere, alles. Aber der Mensch, der die Natur gut kennt, der kann diesem Geist gegenüber aufrecht stehen bleiben. Ruhig sieht er sich um und lebt. Der Geist des Windes erhebt sich vor ihm, aber er hat keine Angst. Er ist daran gewöhnt. Man sieht, dass der Geist irgendwie mit ihm verbunden ist. Der Mensch passt sich den Kräften der Natur an und kann sie irgendwie beherrschen …
»Der Herr des Windes«. Der oberste Geist und verschiedene Winde. Da sind sie. Man sieht ihre Gesichter. Der da ist der kalte Wind, der ist bös. Hier der, das ist der zärtliche, der lächelt. Und da ist so ein kleines Lüftchen. Und der Herr des Windes schickt sie an den Himmel. Das ist der Kosmos.
»Die Seele des Drachens«. Hier habe ich einen Menschen dargestellt, und über seinem Kopf ist ein Drachenmaul. Schwarzes Gesicht, langes Haar, eine schwarze Seele. Und vor ihm steht ein anderer Mensch mit Idolen in den Händen. Idole des Guten, Idole der Kraft. Die Drachenseele ist fremd, böse, alles kann in so einer Seele zugrunde gehen. Sie muss gebändigt werden. Und zwar genau so: mit Kultur. Mit einer Kultur der Beziehung zum Menschen. Und dieser junge Rentierhirte hier, der keinen Hochmut kennt, der staunt über die Drachenseele. Und da steht ein Hund. Oder ein Wolf …
»Wo können wir noch hin?« Der Mann redet mit dem Ren. Die kahle braune Tundra, ein Erdölförderturm, herumliegende Raketenstufen. Der blaue Himmel. Unterm Himmel lässt es sich noch leben, auf der Erde nicht mehr …
»Leben in Rechtlosigkeit«. Das ist eine rote Blume in einer Erdbehausung: die Höhle, deren Kälte, Eiszapfen. Aber auch da gibt es Leben. Es geht nicht zugrunde. Es blüht, trotz allem, denn das Leben ist das Leben. So kann auch ein menschliches Leben in Rechtlosigkeit, im kalten Umgang bestehen. Kaltbeseelt ist alles ringsum, verstehst du? Menschen wachsen heran, leben, aber ringsum ist alles kalt. Niemand achtet darauf. Wie leben die andern? – Geht uns nichts an. So wird das gesehen.
»Der Geist des Nomadendaseins«. Ein verlassener Lagerplatz. Kein Mensch mehr, nur noch zurückgelassene Knochen. Der Geist ist dort erschienen und hat Farbenpracht und Sonne mitgebracht – aber es ist kein Mensch da. Nur Knochen.
»Die Leute vom Vogelklan«. Das ist mein Klan. »Jaw« ist das Meer, »Tysja« ein kleines Strandvögelchen. Vielleicht ein Sperlingsvogel oder ein Gimpelchen, ich weiß nicht. Ich habe eine Schneeammer gemalt. In ihren Flügeln sind verschiedene Leute zu sehen, das ist mein Klan.
»Bekenntnis zum Guten«. Wenn der
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