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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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Strand entlangziehenden Baracken tauchten hie und da Tschums 11 auf, und das Essen wurde wie je zubereitet, auf einem Feuer im Freien, Sammelpunkt der Familie, ja sie besaßen noch solche Kraft, dass sie es einfach nicht ertrugen, lange zu Hause zu hocken, es trieb sie häufig in die Tundra zu den Verwandten hinaus, die dort geblieben waren, weil für sie Sesshaftigkeit gleichbedeutend war mit Faulheit und Atemnot.
    Eines Tages war es dann soweit – man rief die beiden Studenten, gab ihnen Schlitten und Gespann:
    » ›Das sind jetzt deine Rene und dein Schlitten‹…
    Wie viele Jahre hatte ich darauf gewartet? Zehn? Zwölf? …«
    Liebe Ada, kleine Ada, wie das? Du warst also zehn, zwölf Jahre alt, als die Insel wie ein Smaragd auffunkelte aus der Finsternis des Hohen Nordens und mit ihrem eisigen Licht dich in deinem Kiew verzauberte – mein Gott, in diesem Kiew, wo im Frühling oberhalb des Dnjeprs beim Wybizki-Kloster der wellengleiche Flieder in sämtlichen Blau-, Violett- und Lilaschattierungen schimmert und die blühenden Kirschbäume erstarrten Rauchwolken ähneln, wo die rosa Apfelblüten jeden Atemzug mit wollüstiger Frische erfüllen und man sich vor der heißen Sonne im dichten Schatten der Platanen verstecken muss …
    Ja, so muss es gewesen sein, Ada: Denn die Ecken der Erde, die später zu erobern uns beschieden ist, ererben wir in der Kindheit …
    Vielleicht ist Adas Buch das beste, das je über Kolgujew geschrieben wurde. Nichts darin ist überflüssig, es ist voll echter Poesie, die der Autorin das Recht gibt, alles Entstellende nicht zu sehen, voll jener lebensschöpferischen Poesie, die noch den Stumpfsinn der Militärbehörde, das Verbot, »strategische Objekte« bei ihrem Namen zu nennen, in Gewinn zu verkehren weiß: So taucht im Text ein Leuchtturm namens
Nord
auf, ein Wandelstern auf dem letzten Streifen Küste der Insel, hinter dem es nichts mehr gibt außer Eis und Nacht bis zum Pol. Dieser Leuchtturm trägt nicht seinen wirklichen gutrussischen Namen
Sewerny
, nein, er heißt
Nord
– und konnte nicht anders heißen, musste so heißen auf dem Territorium der Rettung.
Sewerny
hätte nur den Standort bezeichnet: jene damals (wie so viele andere) verbotene Zone im Norden der Insel;
Nord
dagegen birgt Erinnerung: Erinnerung zumindest an die Zeiten, da norwegische Schoner sich von Norden oder Osten her der Insel näherten, so die seit alters von den Pomoren genutzten Ankerplätze umschiffend, und daran, wie einmal ein solcher Schoner von jenem Wind, den die Russen »Mitternächtler«, die Norweger aber eben »Nord« nennen, abgetrieben wurde und auf eine Sandbank auflief, und unter dem Strandgut, das die Nenzen noch von Bord schaffen konnten, ehe die Wellen das Schiff zerschlugen, befanden sich zwei Porzellantassen …
    Das Buch enthielt eine Reihe von Anspielungen, die für den Fliehenden offenbar von Bedeutung waren, denn er hatte sie herausgeschrieben, doch wozu, das war ihm im Nu entfallen, und begriffen hat er sie erst viele Jahre später, tief erstaunt über ihre Klarheit und Eindeutigkeit:
    »… In der Tundra geht nichts verloren …«
    Vordergründig war von Gegenständen die Rede, von Tassen, Löffeln, Uhren, alten Gewehren, hinter denen sich lange, märchenhafte Geschichten erstreckten. Doch zugleich war auch von etwas anderem die Rede, dessen
Bedrohlichkeit
er dunkel spürte: »Wer hierher kommt, kann nicht Gast auf Zeit gemäß der inneren Perspektive seiner Arbeit sein; wer hierher kommt, bleibt auch nicht auf Zeit, denn sein Leben hier hört mit seiner Abreise nicht auf, die Erinnerung an ihn, an seine Taten, seine Worte, wird hier wie nirgends sonst bewahrt …« Er fühlte, dass hier von Schuldigkeit die Rede war, einer Schuldigkeit, die seine Freiheit, die Freiheit des Fliehenden, in die Pflicht nähme. Aber insofern er ja noch nicht dort war, fühlte er sich nicht in der Schuld der Insel. Und mochte auch künftig ihr nicht zugehören, mochte sich nicht mit dem Wort »Pflicht« zusammenspannen; er wollte die Insel letztendlich nur sehen – und Schluss. Keine Pflichten, nur geistfesselnde Abenteuer …
    Begeistert las er Seite um Seite, ein wenig neidisch auf die beiden Glückspilze, deren Rene, obgleich sie bis zum Bauch im eisigen Moor einbrechen, den schräghängenden, mit Kleidern, Etüden und Farben beladenen Schlitten hinaus in die weiten Räume der blühenden Tundra ziehen, zu den uralten Hügeln und Lagerplätzen, wo Menschen leben mit Namen, so wunderschön wie

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