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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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von einer unausgesprochenen Klage erfüllte Schallen der metallenen Leere oder das Gepolter einer vom Wind abgerissenen Blechplatte, deren Echospiel in den schwarzen Fensterhöhlen der vogelkotbekleckerten felsenhaften braunen Auf bauten ertönte? Wie das Gefühl der Leere in die Aufnahme hineinnehmen – der Leere dort, im Innern des Schiffs, hallend wie im Kino, wenn von irgendwo oben Tropfen herabrieseln und -fallen? Wie die Einsamkeit wiedergeben? Sei es seine Einsamkeit, die des von allen verlassenen, einst glorreichen Schiffs, das mit letzter Kraft seine frühere Form aufrechterhält, sei es deine eigene menschliche angesichts dieses verlorenen Vorderstevens, der wie ein rostiges Beil über dem Schafott des Meeres hängt, deine Einsamkeit im Angesicht des Todes?
    Ich erinnere mich, dass, als Wind auf kam, auf dem Schiff die Geräusche erwachten und es zu ächzen begann wie ein sterbender Riese. Aber wie diese schier unzähligen disharmonischen, zu einem bedrohlichen Stöhnen zusammenfließenden Jammerlaute in ein Foto hineinbringen, das schweigt? Die Erscheinung des Todes muss erhaben sein wie Latein.
    Ich erinnere mich an die Erleichterung, die ich empfand, als wir uns von der
Ob
entfernten und in Ufernähe zurückkehrten.
    Weshalb, daran erinnere ich mich nicht.
    Es war ein flacher Tundrastrand, die Mündung irgendeines Bachs. Vielleicht wollten wir dort an Land gehen, aber der Ort gefiel mir nicht. Im Nebel reihten sich einige Baloks den Bach entlang. Dann kamen Gänse angelaufen und Tolik schrie auf, aber sie liefen in den Nebel davon.
    Wir stießen das Boot zurück ins Wasser – woran ich mich nicht erinnere.
    Wenn ich überschlage, wie lange wir insgesamt brauchten, so bestimmt an die drei Stunden.
    Ich erinnere mich, dass wir lange durchs Wasser stapften: es war ein Flachwassergebiet, und Sascha stellte wegen der Schraube den Motor ab, wir sprangen heraus und dirigierten das beladene Boot irgendwohin vorwärts. Einer von Petkas Stiefeln hatte ein Loch, er bekam sofort einen nassen Fuß und war trüber Stimmung, als habe ihm jemand schweres Leid angetan. Die Kälte rückte ihm als Erstem auf den Leib, kroch ihm bis unter die Haut. Dabei war er fast noch ein Kind; weiß Gott, was ihm durch den Kopf ging, während wir vorwärtsstapften … Nun, natürlich nicht durchs Meer, denn das Flachwasser liegt – geschützt vor der direkten Brandung – hinter der Koschka, aber trotzdem: Wir stapften zwischen den Wassern. Und ringsumher nirgends ein Flecken Erde. Und nur solange man sich am Boot festhält, hat man das Gefühl, mit allen zu wissen, wohin es geht. Aber du brauchst bloß kurz anzuhalten und einen Schritt zurückzubleiben, schon beschleicht dich die Kälte der andrängenden Leere. Noch einen Augenblick und die anderen verschwinden im Nebel, du bleibst zurück, mutterseelenallein, bis zu den Knien im Spiegel der See.
    Die Ebbe setzte ein.
    Ich erinnere mich an die aus dem Wasser tauchenden Lehmbänke, glänzend wie Walrücken. Ein paarmal, wenn wir zwischen Stellen mit sichtbarem Grund eine tiefe Rinne fanden, kletterten wir ins Boot, warfen den Motor an und preschten in diesem lehmigen Labyrinth voran.
    Dann sprangen wir wieder ins Wasser, dirigierten wieder das Boot.
    Ringsumher lag eine Welt, erschaffen aus Lehm.
    Der wasserüberspülte Lehm: der weichste, zarteste graue Lehm, den ich je gesehen habe. Von keiner einzigen Berührung entweiht; Lehm in seinem Urdasein, in seinen vom Wasser bis zu vollkommener Unwiderständigkeit polierten uranfänglichen Formen; hier entstandener Lehm; Jahr um Jahr, Schicht um Schicht Jahrtausende hindurch angeschwollen, angewachsen; sein unentzifferbares blindes Lehmleben lebend; den feuchten urzeitlichen schwergehenden Lehmatem atmend; der entblößte Grund der Welt, auf dem sich nur winzige Büschel jodhaltiger Algen sowie Wasserwürmer zu halten vermochten …
    Ich erinnere mich, wie bei einer unserer Jagden mit dem Boot plötzlich eine Schar Weißwangengänse von einer Lehmbank in alle Richtungen auseinanderstob und dabei mit den Flügeln die weißen Nebelhauben zerteilte …
    Ich erinnere mich, wie von links erstmals die Koschka auftauchte – einige sich kaum über das Flachwasser erhebende Sandbänke –, worauf Alik mich in die Seite stieß und mit dem Finger auf etwas zeigte:
    »Schau: die Isba, sie steht noch.«
    »Wo?«
    »Na da …«
    Ein winziges Fleckchen Trockenes und eine Blockhütte, wohl ohne Dach und ganz krumm von den Frühjahrswassern. Möwen, die

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