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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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Schwingungen.
    Interessanterweise findet dieser auf den ersten Blick so befremdliche Gedanke Guénons von den wechselseitigen Raum-Zeit-Umwandlungen und den »Zyklen« ein überraschendes Echo in einem Essay von Jorge Luís Borges über die Zeit mit ebendiesem Titel: »Die Zeit«. Borges spricht davon, dass die Zeit zu ihrem Ursprung, dem Ewigen, zurückkehren
will
. Das klingt beinah wie eine Paraphrase zu Guénons Worten über den Raum und sein Verlangen, wieder jene Unentstelltheit, Unbegonnenheit und Kraft zurückzuerlangen, welche die Völker der Erde in der frühen Menschheitsgeschichte so klar empfanden, genauso wie auch die Ganzheit und Unbegonnenheit der mythischen Urzeit.
    »Gott hat die Welt erschaffen; die ganze Welt, das ganze Universum der Schöpfungen will zu dieser ewigen Quelle zurückkehren, die zeitlos ist: sie ist weder vor der Zeit noch nach der Zeit, sie ist außerhalb der Zeit. Und das wäre Teil des Lebensdranges …«
    »… die Idee der Zukunft entspricht unserem Wunsch, zum Ursprung zurückzukehren …«
    Auch die Zeit möchte im geheimsten Innern ihres Wesens nicht fixiert, geradegebogen, gefangengesetzt werden. Sie strebt in die Ewigkeit …
    Vielleicht streben auch wir, die wir der Linie des kalten Ozeans folgend, uns voranschleppen, in die Ewigkeit. Und erreichen zumindest den Raum. Der uns zuteil wird als das Erfahren kolossaler Kraft. Eine Erfahrung, die bis zum Tod in uns bleiben wird.
    Das begreife ich jetzt.
    Begreife, dass diese Erfahrung das Allerwichtigste war.
    Vielleicht wäre es besser gewesen, darüber nicht zu schreiben – denn Buch gewordene Wörter tragen ebenfalls zur »Verfestigung« der Welt bei. Aber vom Blickpunkt der in die Ewigkeit strebenden Ewigkeit aus hat das keine sonderliche Bedeutung. Wir hatten einfach beschlossen, etwas am eigenen Leib zu erfahren – und es war nicht ohne Vergnügen.
    Und dieses Buch würde kaum etwas taugen, wenn es in ihm nicht ebenso viele Schritte wie Wörter gäbe. Jedoch, aufgebrochen bin ich zu den Blauen Bergen am 29. Juli 1994, erreicht habe ich sie, um ehrlich zu sein, aber erst am 15. Juli 1997. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass am Ende des ersten Tages nur achtzehn Zeilen zustande kamen. Es waren ja alles in allem erst zwölf Stunden vergangen – seit Viertel nach eins am Mittag, als wir beim Flüsschen Waskina an Land gingen, bis Viertel nach eins in der Nacht, als sich der Himmel plötzlich einschwärzte, ein heftiger Wind auf kam und es zu regnen anfing. Wir fanden eine windgeschützte Kuhle mit einer Lache rostigen Wassers, neben der wir in der sich verdichtenden Regendämmerung unser Zelt aufschlugen. Wir schützten die Rucksäcke so gut es ging vor dem Regen und krochen ins Innere. Wie absichtlich gab es nirgendwo ringsum ein Stück Holz oder eine auf den Strand gespülte Kiste, um ein Feuer zu machen und wenigstens einen Tee zu kochen vor dem Einschlafen. Einer von uns hatte noch Wasser in seiner Flasche. Ich kramte einen Beutel Nüsse mit Rosinen hervor und schüttete jedem ein Häufchen in die Hand. Das kauten wir und spülten mit Wasser nach. Dann streckten wir uns aus, auf der Seite – jeder auf der, die ihm lieb war –, anders hätten wir in dem Zwei-Personen-Zelt zu viert keinen Platz gehabt, und lagen schweigend da. Wahrscheinlich sah unser windgezaustes Zelt von außen wie ein Sack voller Kohlköpfe aus.
    »Jetzt eine Gänsesuppe, hm, Wassja?«, fragte Alik.
    »Was?«
    Ich begriff nicht. Und Alik schöpfte einen Verdacht:
    »Hast du je eine Gans gegessen?«
    »Nein.«
    Dann schlief ich ein, das windgebeutelte klatschende Überzelt und Petkas Schnarchen im Ohr, der sich sofort in den Schlaf geflüchtet hatte, auch unsere beiden Gefährten atmeten gleichmäßig … und der Wind, der Wind …
    16 Es wird erzählt, dass in den 1960er Jahren ein Mann – zufällig unweit der Waskina – eine große »langohrige« Seemine fand. Ohne viel Federlesens nahm er sein Beil und hackte, um sich daraus Schrotkugeln zu gießen, ein Bleiohr ab – worin ja bekanntermaßen der Zünder steckt. Die Mine explodierte nicht. Im Dorf untersuchte seine Frau den Fund und entdeckte, dass es abgesehen vom Blei innen auch noch ein kleines Kupfertässchen gab, das sich gut zum Fingerhut umfunktionieren ließe. Kaum hatte sie ihren Finger in diesen »Fingerhut« (sprich, die Sprengkapsel) gesteckt, da ging die Mine hoch und riss ihr den Finger ab.
    17 Die Nenzen verkauften den Russen keine Eisbärenfelle. Stieß ein Jäger während

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