Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)
abends erblickten sie die riesige Fläche der teils von Eis, teils von Schlamm bedeckten Promojnaja-Bucht. Man kann sich leicht vorstellen, wie niederdrückend der Anblick dieses leblosen, gleichsam am Ende einer Eiszeit noch nicht wiedererwachten Fleckchens Erde auf die Reisenden gewirkt haben muss, doch da entdeckten sie auf dem Meer Packeis, das herantrieb – und schlugen eilig den Rückweg ein, um das Dampfschiff aus dem Gefahrenbereich zu bringen.
Folglich war es gegen neun, spätestens halb zehn, Sir, dass Sie und Ihre Gefolgschaft eiligen Schritts durch unser Lager liefen und in der Ferne verschwanden. Sie waren besorgt, ich beunruhigt. Auch ich sah aufs Meer hinaus. Ich saß neben meinem Reisegefährten Pjotr Glasow und wartete – da ich ein Unglück befürchtete – mit gespitzten Ohren, ob das Leuchtgeschoss vom Typ
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, das unsere Trekkingführer tagsüber an der Küste gefunden hatten und jetzt abfackeln wollten, explodierte.
Ich hatte all meine Autorität in die Waagschale geworfen, Sir, um ihnen das zu verbieten. Aber auch Sie kennen wohl diese besondere Art von Taubheit, die in einer bestimmten Frage Menschen zweier unterschiedlicher Kulturen, die ansonsten vollkommen einvernehmlich handeln, zu geschiedenen Leuten machen kann. Eine Leuchtgranate war für die Inselbewohner eine Zerstreuung, überdies eine seltene, erlesene – und ich hatte sie dieses Vergnügens berauben wollen. Sie fanden, sie hätten ein Anrecht auf die ihnen zustehende Dosis an starken Empfindungen, und warfen das Geschoss ins Feuer. Verstehen Sie nun, Sir, welches Geräusch ich erwartet und weshalb ich so gegen halb zehn Ihre Schritte nicht gehört habe? Das Geschoss explodierte nicht. Aber wie dem auch sei, wir waren ein jeder in seine Sorgen vertieft, und so sind wir uns nicht begegnet, Sir, und fortan würden sich unsere Wege niemals mehr kreuzen …
»Zeit meines Lebens werde ich diesen Tag bereuen wegen eines fatalen Fehlers …« Armer Trevor-Battye! Er grämte sich, weil er am 16. Juni wegen des zeitvergeudenden Ausflugs die Möglichkeit auszuschiffen versäumt hatte … Die folgenden fünf Tage kreuzte die
Saxon
vor der Westküste der Insel, teils auf der Suche nach einem – laut einschlägiger Beschreibung – günstigen Landungsplatz in der Waskina-Mündung, teils auf der Flucht vor den schweren Eismassen aus der Karasee … Langsam kam Unmut auf. »Die alten Grönlandfahrer hegten ein unbezwingliches Vorurteil gegen diesen Landstrich.« Mervyn Powys hatte während der fünf Tage nicht die erhoffte reichhaltige Meeresfauna gefunden und machte deutlich, dass er nicht gewillt war, auf unbestimmte Zeit zu bleiben, sondern in Vardö neue Kohle bunkern und dann weiter nach Nowaja Semlja dampfen wollte, um dort jene Großtiere zu jagen, die es hier nicht gab …
Als die
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sich am 21. Juni zum zweiten Mal der Nordwestspitze Kolgujews näherte, reichte die Kohle an Bord noch für den Rückweg nach Vardö. In gewisser Weise war Trevor-Battye also gezwungen, endlich auszuschiffen. Einzig Thomas Hyland, der Vogelpräparator, willigte ein, ihn zu begleiten.
»Einer nach dem anderen traten die Seeleute an uns heran und schüttelten uns die Hände wie Verdammten.«
Bravo Sir! Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie, in den Wogen auf- und niedertauchend, die Ihnen kalt und finster die Gussinaja entgegenwirft, Ihr Walfängerboot sich dem Ufer nähert. Schon wird es von den Ruderern, deren Los es ist, Sie zurückzulassen, auf die lange wasserüberspülte Sandbank gezogen. Schweigsam helfen die Männer, Ihre Ausrüstung aufs Trockene hinüberzutragen … Dann nehmen sie Abschied … Stoßen das Boot zurück ins Meer … Bald in den Wellentälern verschwindend, bald emportauchend, kehrt der Nachen zurück zur Steamyacht …
Sie schauen sich mit unterschwelliger Begeisterung um. Endlich geht Ihre Reise los … Muss daran erinnert werden, dass Sie auf der Insel als Erstes das Nest eines Wanderfalken entdeckten?
Trevor-Battyes gemeinsam mit Powys entworfener Plan verrät genau wie unsere ursprüngliche Absicht, die Westküste der Insel über die Koschka zu erreichen, welch unglaublich naive (der unseren vergleichbare) Vorstellung sie von einer Wanderung über Kolgujew besaßen. »Nach der Landung sollten wir ein Lager einrichten und unter Zurücklassung von allem, was wir nicht tragen konnten, der Küste nach Süden bis zur Waskina-Mündung folgen. Wir wollten Samojeden finden, und wenn dies nicht gelang, weiter
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