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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wassili Golowanow
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nach Stanowoj Scharok gehen, von dem wir meinten, es sei die Stelle, an der im Jahr zuvor das russische Kanonenboot vor Anker gegangen sei … Jede Änderung des Planes sollte ich auf einem Stück Papier festhalten, das ich, wohin wir auch kämen, in sechs Fuß Entfernung von einem zu errichtenden Kreuz vergraben würde.« Veranschlagt wurde für alles ein Monat, nach dessen Ablauf die
Saxon
die beiden Naturforscher wieder aufnehmen sollte. Trevor-Battye selbst erschien die Aussicht, einen Monat auf Kolgujew ausharren zu müssen, weshalb auch immer als ein »sehr bescheidenes Wagnis«.
    Wenn auch nur eine der Vorgaben dieses Plans wie festgelegt ausgeführt worden wäre und die beiden nach dem Vergraben ihrer Ausrüstung die Waskina-Mündung erreicht hätten, so wäre
Ice-Bound on Kolguev
höchstwahrscheinlich nie geschrieben worden. Der Plan war reine Spekulation und fußte allein darauf, dass Trevor-Battye und seinem Freund durch die einschlägigen Beschreibungen der Insel einige Namen besser vertraut waren als andere. Zum Beispiel hätte Mervyn Powys die Mündung der Waskina wohl schwerlich gefunden, denn wegen der Koschka ist sie vom Meer aus nicht zu sehen. Genau genommen ist es die Strömung der Waskina, die den Promoj offenhält, also jenes Gatt, dessentwegen sich die Koschka nicht durchwandern lässt. Um die Flussmündung zu finden, muss man von dem Gatt wissen, ihm gegenüber vor Anker gehen und mit einer Schaluppe in die Promojnaja-Bucht hineinfahren, wo man sich etwa zwei Kilometer weit durch eine schmale Rinne im lehmigen Grund des Flachwassers an die Insel heranmanövrieren muss. Darauf wäre Powys wohl kaum gekommen, denn er und Trevor-Battye waren überzeugt, dass die Promojnaja-Bucht ein See sei, ohne jede Verbindung zum Meer. Wäre also der erste Punkt des Plans ausgeführt worden, so hätten die beiden Freunde einander gewiss an unterschiedlichen Uferstellen erwartet. Außerdem hätte die Durchquerung der Insel von Nord nach Süd bis zur Waskina-Mündung Trevor-Battye und Hyland vollkommen ausgelaugt. Misst man das Ganze auf der Karte aus, ergibt sich eine Strecke von achtundsechzig Kilometern Luftlinie. Für jemanden, der das Terrain nicht kennt, wird daraus ohne weiteres das Doppelte, denn die brettflache Küste vermittelt eine ganz verkehrte Vorstellung von der Beschaffenheit des Inselinnern, einem echten, ganz und gar verschlungenen, von Wasserläufen zerschnittenen und obendrein noch von drei, vier hohen Hügelketten durchzogenen Labyrinth. In der Folge erwies sich, dass Trevor-Battye und Hyland bereits nach einer Woche – als sie erst die Hälfte der Strecke bewältigt hatten – außerstande waren weiterzulaufen. Im Grunde waren alle Punkte dieses Plans unausführbar, und alles ruhte letztendlich auf einer einzigen Hypothese: dass die beiden wirklich auf Menschen stießen … Dass dieses Zufallsmoment, das ihrem Plan innewohnte, Wirklichkeit wurde, war für Trevor-Battye und Hyland ein unerhörtes Glück.
    Kaum an Land, beschließen die beiden Naturforscher, ein Feuer zu machen. Dabei bemerken sie, dass die vom Meer ausgeworfenen Treibhölzer frisch mit der Axt behauen sind. Wenig später hören sie Schüsse, denen sie nachgehen. Sie stoßen auf ein russisches Grabkreuz, dann auf Schlittenspuren. Es gibt also Menschen auf der Insel, die sich bislang aber noch nicht zeigen …
    Schließlich, am nächsten Tag beim Frühstück, bekommen sie sie zu Gesicht: »… mehrere Menschen gingen zum Fluss hinunter. Wenig später blieben sie stehen, und einer setzte sich wie wartend auf einen Stein. Es war ein beunruhigender Moment. Anscheinend hatten diese Eingeborenen unser Zelt erblickt, waren misstrauisch und zögerten … Ich holte eine Whiskyflasche und sagte zu Hyland, wir gingen am besten längs der Steilküste langsam und ohne unsere Gewehre auf sie zu … Wir hatten noch keine zehn Yards zurückgelegt, als sich etwas zu verändern schien. Ich nahm mein Fernrohr und ›schaute mich wieder lange und gründlich um‹. Und was glauben Sie, sah ich? Fünf Weißwangengänse. Nichts sonst. Und da war nie etwas anderes gewesen als diese Luftspiegelung!«
    Die Insel reagierte auf die Ankömmlinge nicht gleichgültig. Sie versuchte sofort, mit ihnen zu reden – in ihrer Sprache. Sie gab ihnen zu verstehen, dass vieles von dem, woran sie gewöhnt waren, hier keinen Wert mehr besitzt, darunter auch die Logik strenger Schlussfolgerungen. Denn wenn das Auge sich derart täuschen kann … 27
    Trevor-Battye

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