Die Insel - Roman
einen raschen Blick über meine Schulter.
Thelma hielt mit gesenktem Kopf ihre Bluse auf.
Ihr Oberkörper war übersät von Kratzern, blauen Flecken und Striemen, die sichtlich neueren Datums waren. Manche sahen wie Abdrücke von Fingern aus, andere waren eher sichelförmig. Dem Zustand ihrer Brüste nach zu schließen war sie mit einer Rute und mit bloßen Händen geschlagen und höchstwahrscheinlich auch gebissen worden.
Ohne den Kopf zu heben und meine Blicke zu bemerken, drehte Thelma sich um. »Und hier !«, schluchzte sie. Ihr Rücken trug weder Hand- noch Beißspuren, aber er sah aus, als hätte man sie regelrecht ausgepeitscht. Überall sah ich tiefe, zum Teil noch blutige Striemen, die ihre Haut
kreuz und quer überzogen. Er musste an die fünfzig Mal zugeschlagen haben.
»Und das ist noch nicht alles !«, stieß sie hervor. Den Rücken uns zugekehrt, knöpfte sie ihre Bluse wieder zu. »Aber das zeige ich euch nicht, ich ziehe meine Shorts nicht aus …«
Ich drehte mich schnell wieder weg.
»Ich … ich musste mich ausziehen … und dann hat er mich … fürchterlich verprügelt … bloß, weil ich den Stein versehentlich auf Connie fallen ließ … Wesley wollte ihr nicht wehtun. Aber mir wehzutun, das hat ihm tierisch Spaß gemacht. Es hat ihn richtig angetörnt , mich zu schlagen, deshalb hat er … noch andere Dinge mit mir gemacht.«
»Hat er dich vergewaltigt?«, fragte Kimberly. Sie klang bestürzt.
»Ja … aber das war noch lange nicht das Schlimmste.«
Ich warf erneut einen Blick über die Schulter. Thelma hatte sich umgedreht und knöpfte immer noch mit zitternden Händen die Bluse zu. Ihre Augen waren rot vom Weinen, und sie schniefte laut. Weil sie sich nicht darüber beschwerte, dass ich sie ansah, drehte ich mich wieder zu ihr.
»Was hat er noch mit dir gemacht?«, wollte Kimberly wissen.
»Das kann ich euch nicht sagen. Es ist zu schrecklich. Aber irgendwann … wurde er müde. Zum Glück. Als er mit mir fertig war, konnte er die Augen nicht mehr offen halten. Als er eingeschlafen war, habe ich ihn getötet. Ich habe mir einen Stein genommen und dann …« Sie hob die rechte Hand, die Finger um einen imaginären Stein gekrallt, und ließ sie wie eine Besessene immer wieder nach unten
sausen. »Ich habe ihm seinen ganzen beschissenen Schädel zu Brei geschlagen!«
Kimberly stieß ihren Speer in den Sand und öffnete weit die Arme. Thelma machte einen Schritt auf sie zu und stürzte sich taumelnd hinein. Geborgen in Kimberlys Umarmung heulte sie sich die Seele aus dem Leib.
Thelma auf dem heißen Stuhl
Als Thelma sich ausgeweint hatte, gingen wir zu dem Schutzdach, unter dem ich vorhin gelesen hatte. Wir fanden nicht alle Platz darunter, aber Billie und Kimberly waren sowieso lieber in der Sonne. Thelma, Connie und ich setzten uns in den Schatten.
Thelma hatte Mühe, sich in den Schneidersitz zu setzen. Sie wischte sich über die Augen und sagte dann: »Es tut mir wirklich furchtbar Leid wegen neulich. Ich bin einfach durchgedreht.« Als Kimberlys sie ansah, fuhr sie fort: »Ich hätte euch ihn töten lassen sollen, gleich dort, an Ort und Stelle.«
»Das stimmt«, sagte Kimberly.
»Es tut mir Leid.«
»Das ändert jetzt auch nichts mehr«, murmelte Connie.
»Wirklich!« Thelma blickte in die Runde. »Vielleicht verdiene ich eine Strafe für das, was ich getan habe. Ich habe einen Fehler gemacht, ich war dumm und habe euch allen geschadet.«
»Da hast du verflucht Recht«, sagte Connie.
»Ich weiß, ich weiß. Aber … ich habe für meine Fehler bezahlt, oder nicht? Ich bin schlimmer misshandelt worden, als ihr es euch auch nur annähernd vorstellen könnt. Und dann habe ich Wesley getötet. Obwohl ich ihm erst das Leben gerettet habe, war ich diejenige, die ihm den Schädel eingeschlagen hat.«
»Ich finde, du machst es dir ganz schön leicht«, sagte Billie. Sie klang dabei ziemlich gelassen. »Immerhin hättest du um ein Haar meine Tochter getötet.«
»Tut mir Leid«, murmelte Thelma.
»Tut mir Leid!«, wiederholte Connie empört. »Weißt du überhaupt, was ich für Schmerzen habe?«
»Was soll ich denn tun?«
»Wir überlegen uns etwas«, sagte Kimberly. »Schließlich können wir nicht einfach vergessen, was du getan hast. Du hast uns nicht nur angegriffen und Connie schwer verletzt, du bist auch zum Feind übergelaufen! Himmelherrgott! Dieses Arschloch hat Dad und Keith umgebracht, und du hast ihm geholfen . Du hast deine eigene Familie verraten.«
Thelma
Weitere Kostenlose Bücher