Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende
gelegentlich gab es auch eine Welle, die mich in die andere Richtung zu ziehen schien.
Und dann wurde der Tunnel noch enger.
Mir ging die Luft aus. Der Fels schloss sich um mich. Ich erreichte eine sehr schmale Stelle und musste meinen Körper regelrecht hindurchquetschen, zuerst die Arme und die Trinkhäute und dann den Kopf. Als ich meine Hüfte hindurchziehen wollte, blieb ich stecken. Ich brauchte Luft. Ich löste den Korken der ersten Trinkhaut und steckte mir die Öffnung in den Mund. Die Süße des Atems, den ich einsog, war wie der reine Himmel für mich. Ich atmete in die Blase aus: Die Luft war zu kostbar, um sie zu verschwenden. Ich würde sie erneut benutzen müssen, bis sie richtig unbrauchbar geworden war.
Ich steckte immer noch fest, trat verzweifelt mit den Füßen um mich, stieß gegen das Gestein. Ein kleines bisschen ging es weiter – und dann verkeilte ich mich sogar noch mehr. In einem Anfall von Panik versuchte ich mich zurückzubewegen, aber das ging gar nicht. Ich war gefangen. Die Panik wurde schlimmer. So wollte ich nicht sterben, abgenagt von Blutdämonen …
Ich versuchte, mich zur Seite zu drehen, krallte dazu meine Finger in das Gestein, wodurch ich mir die Haut aufriss. Ich drückte und zerrte und wand mich. Und blieb immer noch stecken. So mussten Seeleute sich die Hölle vorstellen: dunkel und kalt und einsam und furchterregend, ohne jede Aussicht auf Hoffnung. Sie nannten es den Großen Graben in der Tiefe, der nur mit Dunkelheit und unvorstellbarem Schrecken gefüllt war.
Als die Luft in dem ersten Beutel verbraucht war, nahm ich den anderen, womit ich den Tod um ein oder zwei Atemzüge hinauszögerte, wie immer unwillig zuzugeben, dass ich besiegt war.
Dann fuhr Schmerz durch mich hindurch, eine entsetzliche, unerwartete Qual, die so groß war, dass ich einen Moment brauchte, um sie orten zu können: meine Knöchel – beide –, an denen Blutdämonen kauerten, eingenistet in den Geschwüren, die das Salzwasser wieder geöffnet hatte. Die Vorstellung, bei lebendigem Leib aufgefressen zu werden, von ihrer widerlichen Säure zersetzt zu werden, ohne die Möglichkeit zu haben, nach hinten zu greifen und sie von mir wegzuzerren, war unerträglich. Meine wilden Kämpfe wurden unwirklich, aber mein Wahnsinn war erfolgreich. Ich schoss aus dem Engpass hinaus in den breiteren Teil des Gangs, was allerdings dem Schmerz noch kein Ende bereitete. Er blieb bestehen, denn nach wie vor konnte ich nicht an die Ursache des Übels gelangen; dazu war der Tunnel nirgendwo breit genug. Er führte einfach geradeaus weiter, zu schmal, als dass ich richtig hätte schwimmen können, und nur schwach von einem fernen Licht erhellt. Ich wusste, dass ich nicht genug Luft hatte, um diese Strecke zu überwinden, aber ich versuchte es dennoch, getrieben vom Schmerz und dem verzweifelten Wunsch, irgendwohin zu gelangen, wo ich diese Kreaturen von meinen Füßen zerren konnte.
Der Schmerz besiegte mich. Ich weiß nicht, ob die Luft in der zweiten Blase bereits aufgebraucht war, als ich sie verlor; ich konnte nicht mehr klar denken, da war nur noch Panik in mir. Ich öffnete den Mund, um zu schreien – und atmete Luft.
Wasser wogte, schlug mich gegen die Decke. Ich bekam einiges davon in den Mund und schluckte es. Erneut wollte ich schreien, und erneut atmete ich Luft. Lufttaschen hatten sich in den wogenden Turbulenzen beim Eingang gebildet und waren von der Strömung den Tunnel entlang gezwungen worden, hingen jetzt in kleinen Höhlungen unter der Decke. Ich drehte mich auf den Rücken, drückte meine Nase an das Gestein und atmete lang und tief und gleichmäßig ein.
Mein Kopf klärte sich, meine Vernunft kehrte zurück. Ich schürfte mit den Füßen an den Tunnelwänden entlang, bis ich die Blutdämonen losgeworden war. Ohne den Schmerz konnte ich wieder denken. Dann rollte ich mich herum und machte mich auf den Weg zum Licht, zog mich weiter nach vorn, tastete nach Löchern in der Decke, in der noch weitere Lufttaschen sein konnten. Ich wusste jetzt, dass ich es schaffen würde.
Es hätte himmlisch sein müssen, wieder an die Oberfläche zu kommen, Licht und Luft um mich zu haben. Allerdings wurde ich sofort von einer einströmenden Welle gegen die Klippe geschleudert, denn wenn auch die Strömung wieder auf ihrem Weg nach draußen war, so waren es die einzelnen Wellen noch nicht. Ich konnte atmen, aber ich befand mich in der großen Gefahr, gegen die Felsen geklatscht und zerschmettert zu werden.
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