Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende
gesäumt und verriet seinen Rang in der Hierarchie der Wahrer: er war ein Mitglied des gewählten regierenden Wahrer-Rates. Das war in etwa das Höchste, was man auf den Wahrer-Inseln werden konnte, wenn man nicht gerade zum Wahrer-Herrn gewählt wurde. Der Wahrer-Herr regierte über die Inseln, aber nicht mit absoluter Macht oder durch ererbtes Recht wie die Inselherren anderer Inseln. Der Wahrer-Herr musste durch die Bürger in den Wahrer-Rat gewählt werden, und gelangte dann durch die Ratsmitglieder zu dem Posten. Einmal gewählt, war er nur dem Rat gegenüber verantwortlich.
Der Blick des Rates wanderte über die Menge und begegnete meinen. Seine Miene veränderte sich nicht ein bisschen, und ich dachte, mit einem leichten Schlag: Er hat gewusst, dass ich hier sein würde. Ich bezweifelte, dass meine Miene ebenso unbeweglich war; er war der Letzte, den ich hier erwartet hätte, und zweifellos verriet mein Gesicht meine Überraschung. Jemand, der den Status von Syr-Silb Dasrick erlangt hatte, verließ die Nabe normalerweise nicht; und schon gar nicht die Wahrer-Inseln.
Ich drehte mich abrupt um und verließ die Hafenanlage, um direkt zur Trunkenen Scholle zurückzukehren. Dort sah ich seltsamerweise die Cirkasin in ihrem Zimmer verschwinden, als ich gerade die oberste Stufe der Treppe zur Schenke erreichte. Sie musste den Hafen genauso eilig verlassen haben wie ich. Ich fragte mich, was sie zu dieser Eile angetrieben haben mochte. Als reinblütige Cirkasin, die über Silbmagie verfügte, hätte sie den Wahrern als Gleichrangige begegnen können. Im Gegensatz zu mir, die ich ein namenloses halbblütiges südliches Venn-Mist-Gör war. Ich besaß keine Ahnentafel, keine Silbmagie, nichts, das mich hätte empfehlen können, abgesehen von meinem Weißbewusstsein, dem Einzigen, das mir eine wertvolle Form von Halbachtung bescherte, dem Einzigen, das dafür gesorgt hatte, dass die Wahrer-Inseln mich nicht an dem Tag, als ich alt genug gewesen war, um für mich selbst zu sorgen, abgeschoben hatten.
Ich legte mich aufs Bett und wartete. Ich wusste, dass sie mich finden würden, wenn sie das wollten. Schließlich gab es in Gorthen-Hafen nur eine einzige Schenke, die einigermaßen erträglich war.
Und während ich wartete, dachte ich über Syr-Silb Dasrick nach.
Als wir uns zum ersten Mal begegneten, war ich etwa acht Jahre alt. Dasrick war damals noch kein Rat gewesen; er stand einfach nur als Wahrer im Dienste des Rates, ein eher geringer Sekretär, der jedoch hohe Ziele hatte. Ich lebte mit einer Gruppe anderer Ausgestoßener auf den Straßen der Nabe, hauptsächlich mit Kindern unterschiedlichen Alters. Unser Zuhause war der alte Friedhof Dämmerhügel, wo einmal vor langer Zeit die Reichen der Stadt ihre Toten in Gruften bestattet hatten. Es war ein uralter Ort, und niemand kümmerte sich noch um die oberirdischen Gruften. Sie eigneten sich daher gut als Versteck und Heim für ein Rudel verwilderter Kinder, die weder Geld noch Achtung und – zumindest in meinem Fall – auch keine eigene Geschichte und kein Bürgerrecht besaßen. Zwei Erwachsene lebten dort mit uns: eine alte, verrückte Schachtel, die Müll sammelte und verkaufte, und ein ältlicher Bettler, der nicht sprechen konnte oder wollte. Wir Kinder arbeiteten für sie. Es war der einzige Weg, wie wir überleben konnten. Wenn wir arbeiteten, wurden wir ernährt, so einfach war das.
Meine frühesten Erinnerungen galten diesem Ort, dem Friedhof … Ich erinnerte mich daran, wie ich von einer Person zur anderen weitergereicht wurde, vernachlässigt wurde, wie es war, zu frieren und zu hungern und allein zu sein. Ich lernte schon bald, dass es nur einen Menschen gab, der sich wirklich um mich kümmerte, und das war ich selbst.
An dem Tag, als ich Dasrick traf, war ich mit zwei Jungen vom Dämmerhügel draußen in den Straßen und verdiente mir ein paar zusätzliche Kupferstücke, indem ich den Schleim der Seeponys von einer vornehmen Straße in der Nabe kratzte. Eine Gruppe von Silbbegabten ging zu Fuß vorbei, unterwegs zu einem der Anwohner. Seit langem hatte ich begriffen, dass ich die Welt anders als andere Leute betrachtete: Das Silberblau der Silbmagie und die Illusionen, die von Silbbegabten gewebt wurden, waren so offensichtlich für mich wie ein Regenbogen am Himmel für die meisten Leute. Ich wusste nicht, wie meine Fähigkeit genannt wurde, und hatte nicht die geringste Ahnung, dass es andere Leute auf der Welt gab, die Silbmagie auf die gleiche
Weitere Kostenlose Bücher