Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende
tief violettfarbenen Augen selbst dann fern, wenn er lächelte. Auch daran war ich gewöhnt.
» Punt hat gesagt, dass du vermutlich in Gorthen-Nehrung bist, Glut.« (Punt war der Kerl, den sie mit mir nach Cirkase geschickt hatten. Er war genauso nützlich gewesen wie ein Loch in einem Fischernetz, und ich war ihn so schnell wie möglich losgeworden.) » Wo ist das Burgfräulein?«
Mir war übel. Ich konnte meine Chance, ein Vermögen zu machen, so schnell versickern sehen wie Meerwasser im trockenen Sand, und damit auch die Chance, nach zwanzig Jahren Dienst bei den Wahrern das Bürgerrecht zu erwerben. Ich diente Dasrick und seinesgleichen schon den größten Teil meines Lebens, aber sie hatten erst zu zählen begonnen, als ich schließlich aufgewacht war und erkannt hatte, wie sehr ich benutzt wurde. Ich war damals fünfzehn und schließlich mutig genug gewesen, um eine Bezahlung zu verlangen. Geld, und die Aussicht auf das Bürgerrecht …
Dasrick hatte mir ein Versprechen gegeben. Ich hatte es sogar schriftlich. Aber ich wusste auch, wenn ich ihn zu oft enttäuschte, würde ich für ihn nicht mehr nützlich sein, und er konnte mein Versagen als Ausrede benutzen, um meinen Antrag abzulehnen.
» Wo ist das Burgfräulein?«, fragte er noch einmal.
Ich schluckte und sagte mit gleichmäßiger Stimme: » Ich weiß es nicht. Noch nicht.«
Er zog seine Augenbraue sogar noch ein bisschen höher als sonst. Ich war damals dreißig Jahre alt, und doch gelang es ihm, mir das Gefühl zu geben, als wäre ich wieder fünfzehn … » Die Sache ist ziemlich dringend geworden.«
» Wieso? Wartet der Bastionsherr von Breth so ungeduldig auf seine Braut?«
In diesem Moment begriff er mit Entsetzen, dass ich es wusste. Dann – beim Großen Graben in der Tiefe – war er sogar peinlich berührt. Es machte Dasrick tatsächlich verlegen, dass ich über die Pläne der Herrscher von Breth und Cirkase Bescheid wusste, die ihre Inselreiche durch eine Heirat miteinander verbinden wollten. Ich hatte nicht gedacht, dass er so viel Empfindungsfähigkeit besaß. Aber vielleicht war es auch gar keine Empfindungsfähigkeit, sondern lediglich Fassungslosigkeit, weil ich wusste, dass die Wahrer etwas unterstützten, das sie eigentlich verabscheuen mussten. Und tatsächlich konnte ich mich des bitteren Gedankens nicht erwehren, dass es für die Herrscherhäuser in Ordnung war, sich zu vermischen, und ihre Nachkommen dennoch das Bürgerrecht erhalten würden und nie als Mischlinge verabscheut und zu Ausgestoßenen werden würden …
Es war nichts Neues. Es hatte immer für die Herrscher der Inseln das eine Gesetz gegeben und für die gewöhnlichen Sterblichen ein anderes. Neu war allerdings, dass die Wahrer damit zu tun hatten. Die Wahrer-Inseln hatten kein Herrscherhaus und priesen sich stattdessen selbst als die Wächter der Gleichheit an. Sie waren das einzige Volk der Ruhmesinseln, das seine Regierenden wählte – etwas, worauf sie stolzer waren als auf alle anderen Errungenschaften zusammen. Ich hatte Dasrick gerade gezeigt, dass ich von der Doppelmoral wusste, mit der er und seinesgleichen lebten, und er war ein stolzer Mann. Kein Wunder, dass er verlegen war.
» Woher wusstest du, dass der Bastionsherr es auf das Burgfräulein abgesehen hat?«, fragte er scharf.
Ich zuckte mit den Schultern. » Ich halte meine Ohren offen. Ich bin nicht dumm, Syr-Silb.« Und das waren auch nicht die Verbrecher der Hintergassen von Cirkasenburg, die etwas näher dran waren und von denen ich die Gerüchte gehört hatte.
Er gewann seine Fassung zurück. » Es gibt politische Notwendigkeiten, denen man sich zu bestimmten Zeiten fügen muss, Glut, ob wir das nun wollen oder nicht. Dies ist so eine. Der Bastionsherr will seine Braut. Und du hast sie offensichtlich nicht gefunden. Ich möchte eine Erklärung dafür.«
» Ich bin ihr bis zum cirkasischen Hafen von Lem gefolgt«, sagte ich in dem Wissen, dass er das alles sicher bereits wusste, wenn er mit Punt gesprochen hatte. Er wollte mich einfach nur leiden lassen. Er mochte es nicht, wenn jemand seine Leistung nicht erbrachte, und mein Versagen bei der Aufgabe, das Burgfräulein von Cirkase ausfindig zu machen, war eindeutig so ein Fall. » Ein oder zwei Stunden, bevor ich Lem erreicht hatte, wurde sie an Bord eines von Gorthen-Nehrung stammenden Sklavenschiffes geschafft. Vier Personen haben mir unabhängig voneinander erzählt, dass sie gesehen hatten, wie ein cirkasisches Mädchen mit einem
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