Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler
ich etwas gereizt, als wir die Kabine verließen. Wir hatten alles getan, was wir für den Patienten hatten tun können. » Immerhin bin ich Arzt.«
Sie besaß genügend Anstand, wenigstens verlegen zu sein. In der Dunkelheit des Korridors konnte ich ihr Gesicht nicht sehen, aber ich roch ihre Verwirrung.
» Ich … oh, zur Hölle, es tut mir leid«, sagte sie. Sie blieb stehen, und die Bewegung des Schiffes schleuderte mich gegen sie. » Verflucht, Gilfeder, es ist so verdammt schwer, in Eurer Nähe zu sein.« Sie befreite sich von mir. » Ihr wisst einfach zu viel«, fügte sie hinzu. » Es ist schwer, einen persönlichen Gedanken zu denken, wenn Ihr alles riechen könnt, was ich denke! Sagt mir nur, wie verdammt noch mal Ihr das aushaltet. Die ganze Zeit zu wissen, was die Leute fühlen. Zu wissen, ob sie Euch mögen oder hassen oder sich über Euch lustig machen. Ihre Abneigung untereinander zu spüren. Es muss schrecklich sein.«
» Man gewöhnt sich daran. Ich kenne auch nichts anderes. Und ich weiß nich, was Ihr denkt. Nur, was Ihr fühlt. Ihr wart überrascht, aber ich wusste nich, warum.«
» Ah, das. Es ist nur … nun, Ihr wirkt so unbeholfen. Immerzu scheint Ihr über irgendetwas zu stolpern, etwas fallen zu lassen, Dinge zu verschütten – aber was ich da drin gesehen habe, gerade eben, das war wundervoll. Alles, was Ihr getan habt. Deshalb war ich überrascht. Manchmal … manchmal bin ich wie ein Fischchen in einem Gezeitenteich, das das, worin es ist, für das Ganze hält und den Ozean nicht sieht. Diesen Fehler habe ich begangen: Ich habe Euch nicht ganz gesehen.«
Mir stockte der Atem. Ihr Körper sagte mehr als das, was sie mit Worten gesagt hatte.
Sie lachte reuevoll. » Da ist es wieder. Ihr wisst, was ich denke.«
» Fühlt«, berichtigte ich sie automatisch, dann wurde ich rot.
» Nun, Ihr habt verdammt recht, wenn Ihr denkt, dass ich Euch in diesem Augenblick attraktiv finde. Das tue ich.«
Das Schiff hob sich, und ich prallte wieder gegen sie. Ich stützte mich an der Wand hinter ihr ab und drängte mich wieder von ihr weg.
» Aber Ihr werdet nichts unternehmen in der Richtung«, sagte sie zutiefst überzeugt, als wir uns wieder aufrichteten.
» Und dabei habt Ihr noch nich mal eine gute Nase.«
Sie lachte. » Instinkt«, sagte sie. » Und mein Instinkt sagt mir, dass Ihr kein Interesse habt.«
» Ihr liebt jemand anderen.«
» Ihr wisst weitaus zu viel, Kelwyn Gilfeder.«
» Das sagtet Ihr bereits.«
» Macht es einen Unterschied zu wissen, dass es jemand anderen gibt?«
Ich nickte. » Ja. Ja, das macht es.«
Sie zuckte mit den Schultern. » Er ist nicht hier, Kel. Und er wird es auch nie sein. Und es gibt noch andere Dinge als die Liebe. Es gibt … Kameradschaft zwischen Leuten, die einander mögen. Die sich zueinander hingezogen fühlen. Vergesst das nicht, wenn Ihr es Euch jemals anders überlegen solltet.«
Ich sah zu, wie sie sich umdrehte und die Kajüttreppe zum Deck hochging. Er? Ein Mann ? War es nicht Flamme, an die sie gedacht hatte? Ich kam mir vor wie ein Narr. Trotz meiner Nase hatte ich sie völlig falsch verstanden. Ich wurde tiefrot und war froh, dass sie nicht mehr da war und es sehen konnte. Ich lehnte mich an die Wand und dachte darüber nach, was für ein Idiot ich war.
Es war lange her, seit ich mit einer Frau geschlafen hatte. Seit ich Jastriá in meinen Armen gehalten hatte. Mehr als vier Jahre. Und doch kam es mir irgendwie unloyal vor, das zu empfinden, was ich gerade empfand. Ich seufzte und fragte mich, ob ich der Schiffsmannschaft wohl etwas Grog abkaufen könnte.
Immerhin hielten die Patienten mich davon ab, zu viel über die Zukunft nachzudenken und die quälende Unstimmigkeit wahrzunehmen, die nie weit weg zu sein schien; es war mir unmöglich, diesen eigenartigen Stich von etwas Bösem, das eine kranke Furcht hervorrief, jemals völlig abzuschütteln.
In der Nacht vor dem Tag, an dem wir in den Hafen von Amkabraig einlaufen würden, erwachte ich schweißgebadet; ich wusste, dass ich gerade einen weiteren dieser Schreckensstöße erhalten hatte. Irgendwie war das Grauen in meine Träume eingedrungen. Danach fand ich keinerlei Schlaf mehr, also stand ich auf und begab mich an Deck. Es war eine wundervolle Nacht: Wir hatten Dunkelmond, und Sterne schimmerten. Die Gerüche des Hafens waren noch weit genug entfernt, um meine Freude an dem Duft des Meeres, der Gischt und des Salzes nicht zu beeinträchtigen. Es wäre mir durchaus möglich
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