Die Inseln des Ruhms 3 - Die Magierin
schrecklichen Wetter. Überall riefen Leute und gaben Befehle. Ich hatte auch das Gefühl, als wären übermäßig viele Silbmagier da: Der Gestank ihrer Magie hing schwer in der Luft. Sowohl rechts als auch links von mir konnte ich Schutzzauber sehen. Noch näher bei mir schoben ein paar Schleppjungen einige beladene Handkarren vorbei. Ein Stück weiter weg legten ein paar größere Schiffe– alles Handelsschiffe– vom Kai ab und begaben sich in die Mitte des Nabenbeckens, um dort vor Anker zu gehen. Offenbar hielten ihre Kapitäne es für sicherer, dafür zu sorgen, dass sie nicht gegen die Kais gedrückt werden konnten.
Die Herz der Wahrer dagegen wurde gerade ein paar hundert Schritt von mir entfernt an den Kai gesteuert; das Feuer war offensichtlich immer noch nicht bemerkt worden. Vielleicht waren die Flammen auch ausgegangen, dachte ich, aber es spielte ohnehin keine Rolle. Ich war unbemerkt entkommen. Wenige Augenblicke später wurden die Landungsbrücken unter lautem Geklapper heruntergelassen, und Jesenda verließ mit ihren Silb-Kameraden das Schiff. Kaum hatten sie den Kai betreten, marschierten sie auch schon geradewegs auf das Wahrerbüro auf der anderen Seite des Hafens zu. Eine Gruppe von Leuten kam ihr entgegen, aber ich war zu weit weg, als dass ich hätte herausfinden können, was da vor sich ging, und der Regen trommelte so laut auf dem Segeltuch über meinem Kopf, dass ich nichts anderes hören konnte.
Ich wollte gerade in die entgegengesetzte Richtung spähen, um herauszufinden, ob ich mich unbemerkt dorthin verziehen könnte, als jemand ohne jede Vorwarnung meinen Arm packte und mich in den Regen zerrte. Ich machte einen Satz und wirbelte herum, zum Kampf bereit.
» Sssch«, sagte er mahnend. » Wirklich ’n hübscher Anblick für entzündete Augen, auch wenn du die Neigung hast, erst zuzuschlagen und dann zu reden.«
Ausnahmsweise fiel mir schlicht gar nichts ein, das ich darauf hätte sagen können. Aber nun, bei ihm waren Worte ja noch nie nötig gewesen.
Und er ließ sich die Chance auch nicht entgehen– oder was auch immer seine Nase ihm über meinen Gefühlszustand mitteilte. Er zog seinen Tagaird über unsere Köpfe, um den Regen von uns fernzuhalten, dann hob er sein Gesicht etwas und küsste mich auf die Lippen. Es war nicht gerade ein brüderlicher Kuss. Ich glaube, ich öffnete meinen Mund, um einen halbherzigen Einwand vorzubringen, und er nutzte auch das zu seinem Vorteil. Und dann plötzlich dachte ich, dass ich verflucht sein wollte, wenn ich überhaupt irgendeinen Einwand hatte. Ich packte ihn so fest, dass ich ihm wahrscheinlich fast die Rippen gebrochen hätte.
Das war der Moment, in dem die Herz der Wahrer explodierte.
Wir drehten beide die Köpfe, während wir gegen die Fässer stießen und unter der Erschütterung taumelten. Der Mund stand uns vor Überraschung offen, der Kuss war vergessen. Wir hatten beide noch nie ein so lautes Geräusch gehört oder ein so heftiges Feuer mit so hohen Flammen gesehen. Es erzeugte seinen eigenen Wind, eine Böe, die den Regen von der Seite kommen ließ und uns den nassen Tagaird heftig gegen unsere Körper schlug.
Die Herz der Wahrer löste sich vor unseren Augen auf. Brennende Segeltuchfetzen und Planken flogen über die Docks und landeten auf anderen Schiffen. Einige Leichen wurden durch die Luft geschleudert und stürzten ins Wasser. Noch während wir zusahen, wurde das obere Kanonendeck von einer weiteren gewaltigen Explosion weggepustet. Eine Kanone schoss quer über den Kai und grub sich in die Mauer einer Böttcherwerkstatt. Der Hauptmast zitterte und stürzte um, und Flammen leckten trotz des Regens an den Wanten. Die Augen weit aufgerissen und den Blick immer noch nicht auf mich gerichtet murmelte Kel: » Süße Schöpfung, du bist wirklich gut im Küssen.«
Ausnahmsweise einmal konnte ich nicht darüber lachen. » Beim Graben in der Tiefe«, murmelte ich. » Ich glaube, das war ich.«
» Oh, daran hab ich nich im Geringsten gezweifelt«, sagte er. » Wer sonst? Du musst deinem Namen schließlich alle Ehre machen.«
» Aber das habe ich nicht gewollt«, sagte ich mit dünner Stimme.
» Nein, natürlich nich«, bestätigte er freundlich. » Es is nur so, dass solche Dinge in deiner Nähe passieren, ja. So ähnlich, wie Dinge von den Tischen fallen und kaputtgehen, wenn ich dran vorbeigehe. Ein Geburtsfehler, glaube ich.« Er ordnete seinen Tagaird neu und wickelte ihn so, dass er uns wieder Schutz geben konnte. »
Weitere Kostenlose Bücher