Die Interstellaren Freihändler: Science-Fiction-Zyklus (German Edition)
Violetter Schimmer legte sich über die Zuhörer.
Es gelang Jarr, sich eine Zigarette anzuzünden. Er blickte auf die Uhr und betrachtete die violetten Streifen, die den Himmel zu teilen begannen. Ein feuriger Ring lag um den gesamten Horizont. Jarr spuckte Sandkörner aus und sagte:
»So etwas habe ich noch niemals gesehen.«
Dann tauchten in der Ebene einzelne Gestalten auf. Es wurden immer mehr. Jarr lud seine Waffe durch und wühlte in einer Metallkiste. Er legte einige Blätter auf den Tisch, auf denen Redewendungen in den beiden alten Sprachen standen. Der Funker deutete auf die flackernden Anzeigen seines Geräts und sagte:
»Das Ding ist wieder in Ordnung, Jarr. Ich schildere dem Hauptquartier, was hier los ist.«
Er begann zu reden und erhielt keine Antwort. Der erste männliche Flüchtling erreichte die Zelte; er war barfuß und trug einen langen Bart. Die Frau hielt ein Kind im Arm und verbarg sich unter langen Schleiergewändern. Jarr fragte mit mäßiger Freundlichkeit nach Namen, Wohin und Woher. Der Flüchtling starrte ihn verständnislos an. Der Funker benutzte Interlingua, und erst jetzt antwortete der Bärtige.
»Den Sturm haben sie in den Bergen überlebt, aber keine Soldaten gesehen und keine Toten. Dort ist die Landschaft ebenso verändert wie hier. Im Radio sagten sie etwas von östlichen Völkern, aber der Gefechtslärm war zu laut. Es gab ein Ultimatum an die westlichen Völker, das vor sechs Stunden abgelaufen ist.«
Die Flüchtlinge starrten mit glasigen Blicken zum Horizont. Unter den Sternen, die wie stechende Miniatursonnen wirkten, wanderten die Flüchtlinge weiter nach Westen. Andere Wanderer kamen und umstanden die Zelte wie Schattenrisse. Als der lange Zug der Verlorenen vorbeigewandert war, starrte Jarr entlang der schwach sichtbaren Spuren, griff hinter sich und hob die schwere Schnellfeuerwaffe auf.
»Aber von dort«, erklang die Stimme eines Sprechers, »galoppierte ein wohlformierter Reitertrupp auf die fünf Soldaten zu. Helme, Lanzenspitzen und Brustpanzer blinkten im Licht der Gestirne. Jarr blickte durch das Zielfernrohr. Langsam sickerte die Überlegung in Jarrs Verstand: Zwei Nationen bekriegten sich, und zwischen den Fronten wurde ein TriâVisofilm gedreht. Waren Flüchtlinge und Reiter nur Statisten? Er setzte das Glas ab und murmelte:
»Man hat ihnen sogar Wunden und Blut aufgeschminkt. Frauen sehe ich, an die Pferde gebunden.«
Die Soldaten stillten ihren Durst mit Bier, während in der Ebene weitere Statisten vorbeizogen. Komparsen in allen denkbaren Rüstungen und Kostümen wanderten im Singen der Sandkörner durch das Land, über geschichtlichen Boden, der vom Blut Hunderttausender getränkt war. Die Trunkenheit der Soldaten wich ungläubigem Entsetzen, als sie erkannten, dass ein Teil der Komparsen aus dem Nichts auftauchte und in einen roten Schlund am Horizont hineinmarschierten, der sie lautlos einsog.«
Dumpfe Rhythmen skandierten den Zug vielfarbiger, wesenloser Schatten. Weder die Soldaten noch die Zuhörer verstanden dieses Schweben zwischen Wirklichkeit und Vergangenheit. Eine junge Frau mit aufgelöstem Haar ging vorbei; sie sah aus, als sei sie schon einmal gestorben gewesen. Jarrs kantiges, sonnenverbranntes Gesicht wurde hat. Sein Blick verweilte auf einem Reitertrupp, der auf die Zelte zudonnerte. Er sagte:
»Ich will genau wissen, was dieses Theater zu bedeuten hat. Nehmt eure Waffen. Die nächste Gestalt schnappen wir uns.«
Sie rannten auf die Reiter in den farbigen Rüstungen des Römischen Reiches zu. Der erste Reiter riss sein Pferd herum, starrte die Soldaten an und stieg ab. Seine Schritte wirkten unheimlich müde, sein Gesicht, von einem dichten Bart umrahmt, war von Schweiß, Schmutz und Blut verkrustet. Jarr sah den Riss im Panzer und die Wunde darunter. Der Reiter blieb vor den Soldaten stehen, musterte sie mit kaltem Blick und blickte dann sehnsüchtig auf die flimmernden Erscheinungen am Himmel.
»Wer bist du?« Jarrs Augen brannten, seine Kehle war staubtrocken. Tödliches Schweigen. Soldat Sempre stellte die Frage in seiner Muttersprache. Die Luft schwoll plötzlich zu einem Ton wie aus tausend Posaunen an. Der Fremde antwortete:
»Ich bin Quintus Augustus. Consul des Römischen Reiches.«
Jarr begriff, dass er ebenso plötzlich Vulgärlatein verstand, und dass es seinen Männern nicht anders erging. In jäher Einsicht erkannte er die Zusammenhänge. Quintus Augustus war mit seinen Männern vor 1700 Jahren in diesem Land
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