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Die Intrige

Titel: Die Intrige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Peterson Haddix
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verzog das Gesicht.
    »Ich höre mich wieder mittelalterlich an, was?«, fragte er.
    Das war die ganze Woche über ein wiederkehrendes Problem für ihn gewesen. Im Englischunterricht hatte er »fürwahr« gesagt und alle hatten ihn ausgelacht. Und im Schulbus hatte er einem Rabauken in allen Einzelheiten ausgemalt, wie man jemandem mit dem Schwert oder einer Streitaxt die Innereien herausschälen konnte. Andererseits hatte das dazu geführt, dass der Rowdy die anderen Kinder im Bus in Ruhe ließ.
    »Hast du damit auch Probleme, Alex?«, fragte Chip wehmütig. »Vergisst du manchmal, dass du kein englischer Prinz im ausgehenden fünfzehnten Jahrhundert mehr bist?«
    »Ab und zu«, sagte Alex. »Aber mich haben die Leute schon immer für seltsam gehalten, deshalb kümmert es keinen. Und Mom erzähle ich, dass alles ihre Schuld ist, weil sie ständig Shakespeare zitiert. Ich habe ihr gesagt, dass sie es endlich geschafft hat – dass sie mir endgültig das Hirn verätzt hat.« Er fing den Basketball auf. »Hört mal, mir tut davon langsam die Hand weh. Ich verstehe ja, worum es beim Bogenschießen oder beim Schwertfechten geht, damit mussten sich dieMänner im fünfzehnten Jahrhundert auskennen, um sich, ihre Familien und ihre Herren zu beschützen. Aber wofür soll Basketball gut sein?«
    »Wir müssen ja nicht spielen«, sagte Jonas, obwohl er sich fragte, ob Alex die Sportart noch nie gemocht hatte oder ob es noch etwas war, was das fünfzehnte Jahrhundert bei ihm verändert hatte. »Gib her.«
    Er machte Alex ein Zeichen, ihm den Ball zuzuspielen, und legte ihn auf dem Boden ab. Dann ließ er sich neben der Auffahrt ins Gras fallen und die anderen folgten seinem Beispiel. Für einen kurzen Moment überkam ihn die Erinnerung an Wochen zuvor, als er und Chip fröhlich und unbekümmert Basketball gespielt und sich anschließend an genau der gleichen Stelle niedergelassen hatten. Nur Minuten bevor Jonas den ersten Hinweis darauf erhielt, dass mit seinem Leben etwas nicht stimmte.
    Wenigstens wissen Chip und Alex, wer sie sind und woher sie kommen, dachte Jonas. Selbst wenn sie Probleme damit haben, sich auf die heutige Sprache zu besinnen, haben sie wenigstens ihre Geschichte enträtselt.
    Nachdem sie aus der Schlacht von Bosworth in die Höhle zurückgekehrt waren, war Jonas so erpicht darauf gewesen, ins normale Leben zurückzukehren – seine Eltern wiederzusehen, Pizza zu essen und ein ganz normaler Junge des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu sein –, dass er nicht nach seiner eigenen Identitätgefragt hatte. Und das beschäftigte ihn jetzt mehr als alle noch offenen Fragen über das fünfzehnte Jahrhundert. Manchmal, wenn er spätabends allein in seinem Zimmer war, flüsterte er: »HK? HK? Kannst du mich hören? Siehst du zu? Bin ich jetzt an der Reihe?« Doch dann kam er sich albern dabei vor, Selbstgespräche zu führen. Und er hatte Angst. Chip und Alex waren im entscheidenden Moment so kurz davor gewesen, auf tragische Weise ums Leben zu kommen. Wer konnte schon wissen, ob Jonas’ Herkunft nicht noch gefährlicher war?
    »Hast du irgendwas über das Shakespearestück gelesen?«, fragte Katherine ungehalten und ließ ihren Pferdeschwanz hin und her schwingen, um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen. »Sein Richard III. ist das personifizierte Böse. Und ein missgestaltetes Monster, obwohl er doch in Wirklichkeit völlig normal aussah.«
    »Shakespeare hat in seinen Historiendramen alles Mögliche verändert, um die Geschichten besser zu machen«, sagte Alex. »Und mit Elisabeth auf dem Thron, die eine Tudor war, hatte es für ihn sicher sein Gutes, dass er den alten Feind der Tudors wie eine Ausgeburt des Teufels erscheinen ließ.« Er schlug sich auf den Mund. »Herrje«, sagte er und zuckte zusammen. »Jetzt höre ich mich schon an wie meine eigene Mutter.«
    Jonas hatte Alex’ Mutter gründlich in Augenschein genommen, als sie ihren Sohn vorbeibrachte. Sie warnicht unbedingt so, wie er sie sich vorgestellt hatte: Sie trug eine Brille mit leuchtend rotem Gestell und ihr dunkelblondes Haar war sogar noch lockiger als das von Chip und Alex – praktisch ein Afro-Look. Auf ihrem T-Shirt prangte eine Aufschrift, die obszön wäre, wie Jonas annahm, wäre sie nicht in Shakespeare-Englisch geschrieben.
    »Aber die Leute sollten wissen, dass Richard besser war als sein Ruf«, sagte Katherine. »Sie sollten erfahren, was er kurz vor seinem Ende getan hat. Glaubt ihr … glaubt ihr, dass ihm vergeben worden

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