Die Intrige
er, und so zog er ein Paar ihrer Sportsocken an.
Sein dreckiges T-Shirt zu ersetzen war schon schwieriger, denn die meisten von Aminas Sachen hatten ziemlich mädchenhafte Muster und waren so geschnitten, dass sie sich über ihrer Brust spannten. Doch schlieÃlich fand er ein Sweatshirt der Johannesburg University, das nicht zu absurd aussah, als er es über den Kopf zog. Er hoffte, dass Amina nicht allzu wütend wurde, wenn sie aufwachte und sah, dass er es trug.
Als er das Auf- und Abgehen leid war, lieà er sich auf das mit Kissen übersäte Bett fallen und starrte die gespachtelte Decke an, um einen klaren Kopf zu bekommen. Das Interessanteste an seiner Unterhaltung mit Josef war gewesen, dass jemand Boris zusammengeschlagen hatte und Leonid bei ihm im Krankenhaus war.
Die Vorstellung, bei Leonid zu Hause anzurufen, wäre normalerweise absurd gewesen, aber wenn Leonid, Boris â und hoffentlich auch Alex â im Krankenhaus waren, bestand die Möglichkeit, dass Andre allein zu Haus war. Und da Andre sich sehr bemühte, Ethans Freund zu sein, und ein gutes Verhältnis zu seiner GroÃmutter hatte, könnte er derjenige sein, der Irena für ihn aufwecken würde.
Die Uhr am Handy zeigte Ethan, dass er jetzt schon zweieinviertel Stunden auf einen Rückruf von Irena wartete, und der dreistündige Zeitunterschied bedeutete, dass es in Kirgistan mittlerweile hell geworden war. Sollte er jetzt also weiter auf Josef warten oder riskieren, Andre anzurufen?
Zunächst versucht er es noch einmal auf Irenas Nummer, bekam aber keine Antwort. Josefs Anschluss war auf den Anrufbeantworter weitergeschaltet, daher holte Ethan tief Luft und wählte 00, um zur Zentrale zurückzugelangen. Nach kurzem Zögern tippte er dann die Durchwahl von Leonids Wohnung ein.
Beim vierten Läuten hätte er fast den Mut verloren und aufgelegt. Doch beim fünften Mal nahm wie erhofft Andre ab.
»Hallo?«
Ethan wollte nicht, dass Andre seinen Namen ausrief, daher sprach er mit tiefer Stimme: »Ich möchte mit Leonid Aramov sprechen.«
»Der ist im Krankenhaus. Wenn es dringend ist, kann ich ihm etwas ausrichten.«
»Ist noch ein Erwachsener zu Hause?«, erkundigte sich Ethan, überzeugt, dass er die schlechteste Erwachsenenvorstellung aller Zeiten ablieferte.
»Ich kann nach unten gehen und meine Mutter holen«, bot Andre an.
Normal sagte Ethan: »Ich bin es, Andre, Ethan.«
»Hi!«, begrüÃte ihn Andre fröhlich. »Wie ist es an deiner neuen Schule? Ich wollte dich so gerne anrufen, aber mein Vater hat gesagt, dass in den ersten Wochen niemand mit dir sprechen soll, damit du kein Heimweh bekommst.«
»Hör zu, Andre, es ist etwas wirklich Schlimmes passiert und ich muss sofort mit GroÃmutter sprechen. WeiÃt du, ob sie schon wach ist?«
»Sie beschwert sich doch immer, dass sie nicht schlafen kann und so früh wach ist«, erinnerte ihn Andre. »Hast du gehört, dass die verrückte Schwester ihr die falsche Medizin gegeben hat? Sie war zwei Tage lang bewusstlos.«
»Ich habe eine Nachricht bekommen, dass sie krank sei«, log Ethan. »Wie geht es ihr?«
»Als ich sie gestern Abend gesehen habe, war sie schon fast wieder normal«, meinte Andre.
»Und, glaubst du, ich kann mit ihr sprechen? Ich weiÃ, dass es noch früh ist, aber es ist wirklich wichtig.«
»Vater hat sie in dein Zimmer bringen lassen, damit wir sie im Auge behalten können, bis ihre neue Krankenschwester kommt. Warte einen Augenblick.«
Ethan hörte Türen klappen und Schritte, als Andre auf den Gang lief. Es war komisch, zu wissen, dass Irena vielleicht abgenommen hätte, wenn er seine eigene Durchwahl gewählt hätte. Erleichtert vernahm er gleich darauf die Stimme seiner GroÃmutter.
»Du sollst doch noch gar nicht mit mir sprechen, oder?«, fragte Irena streng.
Irena hatte Leonid immer verteidigt, daher musste Ethan seine nächsten Worte sorgfältig wählen.
»GroÃmutter, ich bin nie in der Schule in Dubai angekommen. Leonid hat mein Flugzeug umgeleitet. Ich bin in einer Stadt namens Kanye in Botswana.«
»Bei Kessie?«, fragte Irena erschrocken.
»Ja«, bestätigte Ethan. »Sie haben mich auf Kessies Farm in einen Käfig gesteckt, aber ich bin gerade geflohen. Leonid versucht, den Clan zu übernehmen. Ich glaube nicht, dass deine Krankenschwester dich vergiftet hat. Ich
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