Die Invasion - 5
Menschen. Zhaspahr Clyntahn indes war mehr als willens, diese Furcht dazu auszunutzen, seine eigenen Ziele zu verfolgen.
Vielleicht ist der Zeitpunkt ja jetzt gekommen, ging es ihm durch den Kopf. Wenn einem der Schlüssel nicht für einen solchen Moment ausgehändigt worden ist, wofür dann ? Eine Bedrohung der Kirche von innen heraus ist doch gewiss ebenso gefährlich wie eine, die von außen kommt, oder etwa nicht?
Tief in seinem Herzen wusste er, ebenso wie Hauwerd, dass es nicht das Gleiche war. Vielleicht war der Zeitpunkt nahe, aber bis er wirklich gekommen wäre ...
Abrupt kamen Samyl Wylsynns Überlegungen zu einem Ende, als die Mitglieder des Tribunals nacheinander den riesigen Saal betraten und an dem gewaltigen Konferenztisch Platz nahmen. Sie waren zu acht. Allerdings war nur einer von ihnen wirklich von Bedeutung. Wylsynns Gesicht verzog sich vor innerer Anspannung, als sich Wyllym Rayno, der Erzbischof von Chiang-wu und Adjutant des Schueler-Ordens, vorbeugte und kurz die kleine Glocke anschlug, die vor ihm an einem kleinen Ständer hing.
»Das Tribunal tagt«, verkündete Rayno. »Lasset uns beten!«
Alle Anwesenden senkten die Köpfe, und Rayno erhob die Stimme.
»O Gott, Schöpfer aller Menschen, der Du alles geschaffen hast, Baumeister allen, was war, ist oder jemals sein wird, voller Ehrfurcht treten wir vor dich. Wir bitten Dich, leite uns durch diese heilige Aufgabe, die Heiligkeit, Reinheit und Wahrheit Deines Wortes und Deiner Kirche zu bewahren, so wie es der Erzengel Langhorne am Tag der Schöpfung selbst kundgetan hat. Wir danken Dir und preisen Dich dafür, dass Du uns die heiligen Anweisungen gegeben hast und uns dabei führst, sie zu bewahren und zu lehren. Mit schweren Herzen bringen wir Dir das Ergebnis der Beratungen und Entscheidungen, zu denen Dein Offizium der Inquisition durch die Ereignisse der jüngsten Zeit berufen wurde. Wir flehen Dich an, leiste uns Beistand, während wir in Deinem heiligen Namen mit den Mächten der Finsternis ringen! Darum bitten wir in Langhornes Namen, Amen.«
Im Chor erklang das ›Amen‹ der Versammelten. Samyl Wylsynn jedoch stimmte nicht mit ein. Für seinen Bruder galt das Gleiche.
Rayno hob den Kopf, wartete, bis seine Zuhörer wieder Platz genommen hatten, und räusperte sich dann.
»Ich bin davon überzeugt, dass alle in diesem Saal Anwesenden vollends vertraut sind mit den Ereignissen, die zum Zusammentreten dieses Tribunals geführt haben«, begann er. »Da dem so ist, scheint es mir wenig sinnvoll, sie noch einmal zusammenzufassen.«
Der eine oder andere am Tisch nickte. Rayno blickte über die Schulter hinweg einen seiner Sekretäre an, die hinter den Mitgliedern des Tribunals vor einem prächtigen Wandteppich standen. Der Sekretär, ein bemerkenswert jung wirkender Oberpriester des Schueler-Ordens, überreichte ihm sofort einen dicken Ordner. Rayno legte den Ordner vor sich auf den Tisch. Er öffnete ihn und blätterte rasch die ersten Seiten um. Dann hob er wieder den Kopf und schaute die wartenden Priester an.
»Dieses Tribunal wurde zusammengerufen, um die Umstände zu erörtern, die zum Tod sechzehn geweihter Priester des Schueler-Ordens geführt haben«, sagte er. »Es besteht keinerlei Zweifel daran, was den Tod dieser Priester verursacht hat, noch wer dafür verantwortlich ist. Doch gewisse Anschuldigungen, gerichtet gegen die betreffenden Priester, waren so ernsthaft, so beunruhigend, dass der Großinquisitor, mit der nachdrücklich betonten Zustimmung des Großvikars, eine förmliche Untersuchung und Prüfung für erforderlich hielt.
Nun hat das Tribunal diese Untersuchung und Prüfung abgeschlossen, zur Zufriedenheit aller beteiligten Mitglieder, und ist bereit, das Ergebnis vorzulegen.«
Das war kaum überraschend. Trotzdem durchlief ein Raunen den Saal, fast wie eine kräftige Windböe, die über ein Kornfeld streift.
»Laut den Behauptungen der so genannten Kirche von Charis«, fuhr Rayno fort, »haben sich die sechzehn Priester, die in Ferayd ihr Leben verloren, des Vergehens schuldig gemacht, in ebenjener Stadt zum Mord an Frauen und Kindern aufgerufen zu haben. Dies soll im vergangenen August geschehen sein, als König Zhames, in Gehorsam der Weisungen von Mutter Kirche gegenüber, die Beschlagnahmung sämtlicher charisianischer Schiffe befahl, die sich zu diesem Zeitpunkt in Ferayd befanden. Zur Unterstützung besagter Anschuldigungen hat die so genannte Kirche von Charis Schriftstücke veröffentlicht, von
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