Die irische Meerjungfrau
bewusst, als er an der Tankstelle vorbeifuhr. Direkt gegenüber lag eine kleine Druckerei, einer der wenigen Betriebe am Ort neben einer Schreinerei und einer Autowerkstatt. Fin fragte sich, was man in diesem Nest wohl drucken konnte, um davon leben zu können. Briefbögen? Werbeplakate? Glückwunschkarten oder vielleicht drei verschiedene Sorten Ansichtskarten mit Schafen drauf? Handzettel für die Sonderangebote in O’Connors Laden? Nein. Pässe. Amtliche Formulare. Getürkte Versicherungspolicen. Und bei Bedarf auch einen falschen Stammbaum für ein echtes Rennpferd. Fin war sich da ganz sicher. Und sicher fühlten sich auch die Einwohner von Foley, sonst würden sie nicht so offen ihren kleinen Betrügereien nachgehen. Wer sollte sie daran hindern?
Die Straße führte an der Küste entlang und präsentierte hinter jeder der zahlreichen Kurven ein neues, spektakuläres Panorama. Düstere Berge reichten bis ans Meer, fielen über schroffe Klippen ins Wasser hinab und stellten sich blaugrünen Wogen in den Weg, die vor Wut schäumend dagegen anbrandeten. Dazwischen immer wieder winzige, unzugängliche Buchten, deren weißer Sand eine Karibikinsel neidisch gemacht hätte. Sanft gewellte Heideflächen, auf denen die letzten rosa Blüten im Wind zitterten, wechselten sich ab mit Wiesen, deren Grün auch im November noch in der Sonne leuchtete, dass einem die Augen brannten.
Fin drosselte die Geschwindigkeit, bis er nur noch im Schritttempo durch die Landschaft zockelte, so sehr beeindruckte ihn die Aussicht. Außer ihm und einer Handvoll Schafen war eh niemand unterwegs, den er hätte behindern können.
So reagierte er sofort, als plötzlich der Motor anfing zu stottern. Sein erster Blick galt dem Armaturenbrett, aber die Anzeige signalisierte ihm, dass der Tank noch halbvoll war. Langsam lenkte er den Wagen an den Straßenrand. Die Reifen hatten den Seitenstreifen kaum berührt, da war der Motor auch schon abgesoffen.
Fin drehte den Zündschlüssel, aber außer einem müden Klick tat sich nichts. Er wiederholte es noch ein paar Mal, doch ohne Erfolg, und hieb schließlich wütend mit der flachen Hand aufs Lenkrad.
»Scheißkarre!«
Er stieg aus und öffnete die Motorhaube. Was man eben so tat, wenn man mit einer Panne liegenblieb. Ein Motor war für Fin ein Buch mit sieben Siegeln, egal ob es der Motor seines eigenen Wagens war oder, wie in diesem Fall, der eines Dienstwagens. Er verstand von Autos gerade so viel, dass er wusste, wo das Benzin reinkam und wo das Öl. Alles andere überließ er lieber dem Mechaniker, aber gerade der war in diesem Augenblick meilenweit entfernt. Genauso weit entfernt wie jede andere Form von Hilfe, denn auf dieser Straße war ihm das letzte Auto vor etwa zwanzig Minuten begegnet.
Fin erinnerte sich an einen Stapel Unterlagen, den der Mitarbeiter des polizeieigenen Fuhrparks ihm in die Hand gedrückt hatte und den er irgendwo im Seitenfach der Beifahrertür versenkt hatte. Mit etwas Glück war die Servicekarte eines Pannendienstes dabei.
Er blätterte durch die Broschüren, das Handy in der Hand, als er von fern einen Motor hörte. Er wollte es kaum glauben, vielleicht hatte das Schicksal ja Mitleid mit ihm. Er trat einen Schritt auf die Straße, bereit anzuhalten, was immer da um die Ecke kam.
Es war ein Motorrad. Der Fahrer in schwarzer Ledermontur, das getönte Helmvisier geschlossen.
Fin zögerte.
Das Motorrad bremste ab, wich aus und kam etwa zwanzig Meter hinter dem Wagen zum Stehen.
Fin hatte plötzlich ein ganz und gar ungutes Gefühl.
Der Fahrer stieg ab und stellte die Maschine auf ihren Ständer.
Vielleicht wussten sie längst Bescheid über ihn. Hatten sein Auto manipuliert. Dann einen Handlanger losgeschickt, der nun den Rest, sprich ihn, erledigen sollte.
Der finstere Kerl kam mit großen Schritten auf ihn zu. Die harten Absätze der schweren Motorradstiefel knallten auf den Asphalt.
Am Ende war er doch der IRA in die Quere gekommen.
Der Kerl zog seine Handschuhe aus und begann am Kinnriemen seines Helms zu nesteln.
Fin wich einen Schritt zurück. Sie würden ihm einen Denkzettel verpassen. Er sah sich schon mit zerschossenen Kniescheiben im Straßengraben liegen.
Der Kerl zog seinen Helm ab.
Was wenn –
Eine Flutwelle leuchtend roter Haare ergoss sich über schwarzes Leder. »Wo liegt das Problem?« Sagenhaft grüne Augen blickten ihn fragend an.
»Problem? Wie-wieso Pro-Problem?«, stotterte Fin.
Die Frau wies auf die hochgeklappte Motorhaube.
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