Die irische Meerjungfrau
anders.
Und doch gab es da etwas, was ihn an dieser Frau reizte. Seine Meerjungfrau hatte ein Geheimnis, einen dunklen Fleck in ihrer Vergangenheit.
Niemand griff sich einfach ein Messer und schlitzte sich mal eben die Pulsadern auf. Etwas Drastisches musste in ihrem Leben passiert sein, das diese Reaktion provoziert hatte.
Wahrscheinlich steckte ein Kerl dahinter. Zwar warf diese Vermutung ein schlechtes Licht auf die Spezies Mann im Allgemeinen, aber eine andere Erklärung kam Fin nicht in den Sinn. Er hatte sofort ihren Ex aus Dublin in Verdacht. Ganz sicher ein brutaler Schlägertyp, vor dem sie geflohen war. Warum sonst hatte sie sich die Haare gefärbt und versteckte sich hier am Arsch der Welt? Sie brauchte Schutz. Fins Schutz.
Okay, das war jetzt vielleicht doch ein bisschen weit hergeholt. Im Gegenteil, er hatte eher das Gefühl, dass diese Frau ganz ausgezeichnet alleine zurechtkam und auf Hilfe speziell von seiner Seite ganz wunderbar verzichten konnte …
Fin überquerte die Insel. Er hatte Mühe, geradeaus zu laufen, Mühe, überhaupt auf den Beinen zu bleiben. Der eisige Nordwind trachtete ihm nach dem Leben, wollte ihn mit tückischen Böen zu Fall bringen, jagte ihm winzige Eiskristalle ins Gesicht. Hier und dort blinzelte die Sonne durch tieffliegende Wolken. So richtig entscheiden konnte sich der Winter offenbar nicht.
Was wusste er schon von ihr? Eigentlich gar nichts. Nicht mal ihren vollen Namen. Nur Charlotte. Charlie. Ihm fiel auf, dass sie auch nicht nach seinem Namen gefragt hatte.
Er riss die Wagentür auf und ließ sich auf den Fahrersitz fallen. Sein malträtierter Rücken protestierte umgehend und rang ihm das Versprechen ab, so bald nichts in die Hand zu nehmen, was auch nur entfernt einem Hammer oder einem Schraubenzieher ähnelte. Den Zündschlüssel behutsam zwischen den verpflasterten Fingern ließ er den Motor an und manövrierte den Wagen vorsichtig über den schmalen Damm.
Ein Gedanke an der ganzen Sache gefiel ihm überhaupt nicht. Was wäre, wenn Charlie auf welche Weise auch immer in die Keane-Geschichte verwickelt war? Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass sie ihm nicht die Wahrheit sagte, was Jack und Thomas betraf.
Er lenkte den Wagen auf die Landstraße in Richtung Foley. Die Plastikfolie am Seitenfenster knatterte im Wind.
Selbst wenn sie nicht direkt verdächtig war, sie konnte immerhin eine Zeugin sein. Und er ging mit ihr ins Bett. Er wollte sich das Donnerwetter lieber gar nicht ausmalen, das auf ihn niedergehen würde, wenn Superintendent Ramsay das spitzkriegte. Lebewohl Beförderung. Zu Recht. Es war nicht nur absolut idiotisch, was er tat, es war auch absolut unprofessionell. Und er hatte keinen Schimmer, wohin das führen sollte.
In diesem Augenblick war ihm nur eines klar – an diesem Weidezaun war er auf der Hinfahrt nicht vorbeigekommen. Er hatte mal wieder eine Abzweigung verpasst.
»Mist, verdammter …«
»Sie hätten da vorne rechts abbiegen müssen.«
Er fuhr herum. Verriss das Lenkrad. Bremse. Gaspedal. Das Auto machte einen Satz, rammte einen Zaunpfosten. Ein letzter metallischer Rülpser vom Motor, dann soff er ab.
Leises Knacken.
Wenn Fin sich je gefragt hatte, wie Billy »Blue Boy« MacGann zu seinem Namen gekommen war, jetzt bekam er die Antwort. Denn dass da Billy MacGann und nicht der Leibhaftige auf dem Rücksitz seines Wagens saß, daran hatte er nicht den geringsten Zweifel. Gletscherblau schien in der Familie zu liegen. Und seine Augen waren sogar noch eine Spur blauer als die seiner Tante Nora.
Ein Mann, etwa in Fins Alter, der ihn irgendwie an Bruce Willis erinnerte. Ein markanter Kopf, ein fast kahler Schädel, eine dünne Narbe über der linken Schläfe, die aber nicht wirklich störte. Dunkel gekleidet bis hinunter zu den Schuhen hockte er seelenruhig da, die Hände im Schoß, wie ein Kunde im Taxi, der darauf wartete, dass sein Chauffeur endlich losfuhr.
Fin musste ihn ziemlich entgeistert angestarrt haben. Billy erwiderte seinen Blick. »Fertig mit der Inventur?«
Fin schluckte trocken. Wie zum Teufel kam Billy MacGann auf die Rückbank seines Autos, ohne dass er etwas gemerkt hatte? Kunststück, er hatte alle Türen offengelassen. Er hätte ebenso gut Einladungen verschicken können. Aber was hatte das zu bedeuten? Was wollte Billy von ihm? Fin schoss alles Mögliche durch den Kopf und nichts davon gefiel ihm. Für kein Geld der Welt wollte er sich mit der IRA anlegen.
»Und jetzt?« Nur nichts anmerken
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