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Die irische Meerjungfrau

Die irische Meerjungfrau

Titel: Die irische Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Roemer
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in einem langgezogenen, fast schon einschläfernden Rhythmus vom Meer herein in die Bucht rollten. Der Regen hatte aufgehört.
    Kein Wort über die vergangene Nacht.
    »Das ist Horse’s Neck da drüben, oder?« Er deutete auf die markanten dunklen Felsen, die vor den Klippen aus der Brandung ragten.
    Sie nickte. »Weißt du, woher der Name kommt?«
    Fin versuchte sich vorzustellen, dass einer der schroffen, finsteren Steinklumpen wie ein Pferdekopf aussah, aber seine Phantasie reichte nicht aus. Wahrscheinlich war er zu nüchtern.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Früher brachten die Bauern aus der Umgebung ihre altersschwachen Tiere hierher, die ihnen lange Jahre treu gedient hatten, meist Esel, Pferde eher selten. Und dann trieben sie sie über die Klippe ins Meer.«
    »Tja, Undank ist der Welten Lohn.«
    »Wie mans nimmt. So kamen sie nicht in Versuchung, Wurst aus ihnen zu machen und sie aufzuessen.«
    Sie roch nach Seetang. Aber roch nicht alles hier an der Küste irgendwie nach Tang?
    »Ich hab gelesen, dass Piraten hier ihr Unwesen getrieben und Schiffe auf das Riff gelockt haben.«
    »Früher mal, ja, aber das ist lange vorbei. Der letzte Strandungsfall liegt fast zwölf Jahre zurück. Meines Wissens nach nicht durch Piraten verursacht, sondern durch einen Sturm. Damals lief ein Holzfrachter aus England auf Grund. Etwa zwei Seemeilen vor der Küste. Die Mannschaft wurde gerettet. Sogar die komplette Ladung. Bis auf zwei Fässer Whisky. Die blieben verschwunden.«
     »Die Meerjungfrauen wirds gefreut haben.«
    Sie lächelte. Wieder ihre Finger, die versuchten, aus langen Haarsträhnen Locken zu zwirbeln. Es erinnerte ihn an seine Tochter Lily, an ihre langen blonden Haare.
    »Und trotzdem hat man den Leuchtturm abgeschaltet.«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Hat irgendwer in Dublin entschieden. Es gibt kaum noch Schiffsverkehr hier in Küstennähe, die Fischerei lohnt sich schon lange nicht mehr.«
    »Könnte man ihn im Notfall wieder in Betrieb nehmen?«
    »Ich denke schon. Der Optik fehlt nichts. Außer vielleicht ne neue Glühbirne und ein paar Tropfen Öl hier und da.«
    Fin stellte seine Tasse auf einen schmalen Sims und betrachtete interessiert die Linse. »Wie funktioniert so was eigentlich?«
    »Du stellst vielleicht Fragen.« Ihr schmaler langer Zeigefinger glitt über eine der geschliffenen Glaskanten und schob den Staub zu einer kleinen grauen Wolke zusammen. »Der Leuchtturm hat ein Drehfeuer und das hier, das nennt man Linse. Das Glas ist so geschliffen, dass es das Licht bündelt und verstärkt, so dass es viele Seemeilen weit zu sehen ist. Dahinter steckt eine Glühlampe, viel kleiner als du wahrscheinlich vermutest, aber natürlich mit mehr Watt als für den Hausgebrauch.«
    Ehe er darüber nachdenken konnte, was er tat, hatte er ihr Handgelenk gepackt und umgedreht. »Ist dein Ex dafür verantwortlich?«
    Der Themenwechsel traf sie unvorbereitet. Ihre grünen Augen blitzten ihn wütend an. Sie entriss ihm den Arm und wich zurück. Zog den Hemdsärmel demonstrativ übers Handgelenk.
    »Gibt es etwas in deiner Vergangenheit, das ich wissen sollte?«
    Über dem Horizont war es heller geworden. Ein ockerfarbener Streifen trennte die dunklen Wolken von der graublauen See. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt und starrte aus dem Fenster. Er suchte ihr Spiegelbild im Glas. Irgendeine Reaktion.
    »Ich habe keine Vergangenheit«, zischte sie mit leiser Stimme. Dann drehte sie sich zu ihm hin und lächelte. »Zumindest keine, die dich etwas angeht.« Es war ein erzwungenes Lächeln. Ihre Gesichtszüge hart im heller werdenden Morgenlicht. Sie blinzelte, hatte sichtlich Mühe, den ungewollten Gefühlsausbruch zu unterdrücken. Aber sie hatte sich im Griff.
    Fin ließ nicht locker.
    »So was tut man nicht aus Jux und Tollerei.«
    »Nein. Tut man nicht.«
    »Also?«
    »Bist du immer so neugierig?«
    »Gehört zu meinem Beruf.« Sowohl zum Journalisten als auch zum Polizisten.
    Sie schwieg. Spielte mit der leeren Tasse in ihren Händen. Ihr Blick suchte Halt. Auf den Wellen. Auf den Klippen. Bei den Wolken. Bei ihm. Suchte nach einer Antwort, die ihn zufriedenstellen würde, ohne zu viel von sich selbst preiszugeben.
    »Gegenfrage: Warum besäufst du dich?«
    Darauf war er nicht gefasst. »Was?«
    »Ist das nicht auch eine Art von Selbstmord? Auf Raten?«
    Zuerst glaubte er, sie mache Scherze, aber es schien ihr absolut ernst zu sein. Wenn er also etwas von ihr erfahren wollte, dann musste er erst etwas von

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