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Die irische Meerjungfrau

Die irische Meerjungfrau

Titel: Die irische Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Roemer
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Klacken der Krücke. Hörte Geräusche hinter sich in der Küche, das Knarren von Holz, aber er drehte sich nicht um. Erst als er spürte, wie sich ihr Blick in seinen Rücken bohrte.
    Sie hockte auf dem Küchentisch, in Jeans und Hemd wie am ersten Morgen, und ließ die Beine baumeln, die Krücke quer über die Schenkel gelegt. Sie sah ihn erstaunlich gelassen an, ihre Stimme war ruhig und gefasst. »Ich hab dir erzählt, dass ich vor fünf Jahren einen Motorradunfall hatte. Oberschenkelhalsbruch, Verletzungen an der Wirbelsäule. Aber ich hab Glück gehabt, ich bin haarscharf an einer Querschnittslähmung vorbeigeschrammt. Ein Jahr im Krankenhaus. Nach der zehnten Operation hab ich aufgehört zu zählen. Die Ärzte haben gute Arbeit geleistet und mich wieder zusammengeflickt. Trotzdem …« Fin merkte ihr an, dass sie sich schwer tat. »Es gibt gute Tage und es gibt schlechte Tage. Und an den schlechten Tagen kommen die Schmerzen wieder. Besonders wenn ich’s mit …« Sie zog eine Grimasse, einem hilflosen Lächeln gleich. »… mit der sportlichen Betätigung ein wenig übertreibe.« Etwas knallte auf die Holzplatte des Tisches. Ein Arzneifläschchen. »Ohne das hier hätt ich ein echtes Problem.« Sie schob es mit einem auffordernden Blick zu ihm hin.
    Es war eine kleine braune Flasche, zu zwei Dritteln gefüllt mit einer klaren Flüssigkeit.
    Diocacin.
    Fin studierte das Etikett. Eine Auflistung medizinischer Wirkstoffe, von denen er nichts verstand, doch ein Wort sprang ihm ins Auge. Ein einziges Wort kannte er.   Papaver somniferum . Schlafmohn. Morphin.
    Ein starkes Schmerzmittel.
    War das die einfache Erklärung, nach der er gesucht hatte?
    Er gab ihr das Medikament zurück. »Das … das hab ich nicht gewusst …«
    »Schon gut, meine Schuld«, entgegnete sie.
    Doch, mit dieser Erklärung konnte er durchaus leben. Wenn es denn die Wahrheit war. Und er wollte ihr so verdammt gerne glauben.
    »Ich wollte dir nicht wehtun. Wenn ich …, ich meine, ich hätte vorsichtiger sein …« Er suchte in seiner Unbeholfenheit nach Worten. »Du hättest es mir sagen müssen.« Wie so vieles andere, das sie ihm nicht gesagt hatte.
    »Du weißt ja, wie das mit Meerjungfrauen ist.« Sie lächelte und strich mit der Hand über den metallenen Schaft der Krücke. »Tun sich ein bisschen schwer mit dem Laufen.«
    »Charlotte«, begann er, »oder wie immer du wirklich heißt …« Er versuchte, ihre grünen Augen einzufangen, aber sie wich ihm aus. »Hör zu, ich weiß, du steckst in Schwierigkeiten.«
    »Da weißt du mehr als ich.« Sie redete mit der Wand.
    »Es gibt Leute hier in Foley, denen solltest du besser aus dem Weg gehen.«
    »Du siehst Gespenster.«
    Das hatte ihm schon mal jemand gesagt.
    »Charlie, glaub mir, ich weiß es besser. Ich bin nämlich …«
    Er hielt inne. Jetzt sah sie ihn an. Abwartend.
    »Du hast einmal gesagt, deine Vergangenheit ginge mich nichts an. Vielleicht hast du recht, vielleicht auch nicht.« Er wusste, dass er schon wieder um den heißen Brei herumredete. Dass er es wieder nicht fertigbringen würde, ihr ins Gesicht zu sagen, dass er ihre Lügen satt hatte. »Wenn ich irgendetwas für dich tun kann, dann lass es mich wissen. Ich werde da sein, wenn du mich brauchst. Ich kann dir helfen. Glaub mir!«
    Sie sah ihn lange an, ehe sie antwortete.
    »Okay.«
    Es war eine unverbindliche Antwort. Mehr konnte er wohl nicht erwarten. Ihm blieb nur zu hoffen, dass sie sein Angebot annahm.
    Als er den Leuchtturm verließ, wusste er weniger als zuvor. Nur eines war klar. Hier war etwas im Gange, das ihm ganz und gar nicht gefiel. Und seine Meerjungfrau steckte in dieser Sache mit drin. Auch wenn er diesen Gedanken scheute wie der Teufel das Weihwasser.
    Als er über den Damm lief, fiel ihm ein, dass er die Gläser vergessen hatte. Genauso wie er vergessen hatte, Charlotte die entscheidenden Fragen zu stellen. Er wusste auch, warum er plötzlich so vergesslich war. Er hatte Angst vor der Wahrheit.
    Als er auf die Landstraße kam, war der schwarze Geländewagen verschwunden.

17. St. Mary
    Er war auf dem besten Weg, sich in die Scheiße zu reiten.
    Charlotte Quinn war verdächtig. Dabei wusste er nicht mal, wie die Anklage lautete. Sie war einfach verdächtig. So verdächtig wie all die anderen um sie herum. Egal ob sie einen Geländewagen fuhren oder in einem Motorboot unterwegs waren. Ob sie als Pfarrer zweifelhafte Absolutionen erteilten. Ob sie Bier zapften oder Benzin. Er war zu lange

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