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Die irische Meerjungfrau

Die irische Meerjungfrau

Titel: Die irische Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Roemer
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war duster. Fin drückte auf den Lichtschalter, aber es tat sich nichts. Es dauerte einen Moment, bis sich seine Augen ans Halbdunkel gewöhnt hatten.
    Er stand im ehemaligen Dienstzimmer der Leuchtturmwärter. Zwei alte klobige Schreibtische, ein Stuhl mit nur einer Armlehne. An den Wänden offene, leergeräumte Regale. Eine ganze Reihe vergilbter Seekarten, im Dämmerlicht die unverkennbaren Umrisse von Day’s Foreland. Durch ein riesiges Panoramafenster sah man aufs Meer hinaus. Viel eher hätte man aufs Meer hinaus gesehen, wenn nicht dunkelgrauer, zäher Morgennebel die Sicht beeinträchtigt hätte. Man hörte das Meer nur, das ewige Rauschen des Wassers, gedämpft durch die staubige Fensterscheibe. Alles war von Staub bedeckt. Die verrußte Petroleumlampe, die auf der Fensterbank stand, der vorsintflutliche Wecker auf einem der Schreibtische, der irgendwann einmal auf halb vier stehengeblieben war. Der offene Kamin, in dem noch ein letzter Rest Asche liegengeblieben war, erzählte von gemütlichen Männerabenden mit Whisky und Kartenspielen. Fin zog eine Schublade auf. Ein Terminkalender kam zum Vorschein. Von 1978. Unbenutzt.
    Ein Geräusch ließ ihn aufhorchen. Ein seltsames Geräusch.
    Er schloss die Schublade wieder.
    Langsame Schritte auf dem Flur. Begleitet von einem eigenartigen Klacken.
    »Was machst du da?«
    Charlotte stand in der Tür. Einen Arm auf eine Krücke gestützt.
    Fin ging auf sie zu. »Wo hast du’s versteckt?« Er ignorierte die Krücke.
    »Was?«
    »Der Stoff. Wo ist das Zeug?«, erwiderte er gereizt.
    Sie schüttelte verständnislos den Kopf. »Was für ein Zeug? Wovon redest du?«
    »Davon!« Er hielt ihr die Spritze unter die Nase.
    »Wo– woher hast du die? Wieso –«
    »Hast geglaubt, ich merke es nicht, was? Hältst mich wohl für blöde?« Er redete sich in Rage. Er wollte sie nicht anschreien, trotzdem tat er es.
    »Hör zu, das ist nicht –«
    »– nicht das, wonach es aussieht?« Er packte ihren Arm. Die Krücke polterte zu Boden. Sie wehrte sich, als er ihr den Hemdsärmel nach oben schob. Die Einstichstelle in der Armbeuge war nicht zu übersehen. »Und das hier? Was ist das, he?«
    »Du tust mir weh!« Sie riss sich los, wich zurück in den Flur.
    Er folgte ihr. »Ein Junkie!«, brüllte er sie an. »Was spritzt du dir? Heroin?«
    »Du spinnst ja!«
    »Geiles Zeug, nicht wahr? Gibt dir den richtigen Kick, wenn du mit nem Kerl vögelst, oder?«
    Er sah die Ohrfeige nicht kommen. Die Hand, die in sein Gesicht knallte. Die ihn taumeln ließ. Die Hand, die Fensterrahmen zertrümmerte, Motorräder und Pferde bändigte.
    Er prallte gegen den Türrahmen.
    »Du bist so bescheuert!« Ihre Augen sprühten Funken. Grüne Funken.
    Er keuchte, schnappte nach Luft. Starrte sie an. Entgeistert. Ernüchtert. Er wandte sich ab, ließ sie stehen und stürmte davon. Er kam nicht weit. Fand sich in der Küche wieder, am Fenster, wo er seinen verletzten Stolz hätschelte. Seine Zunge fuhr über seine Zähne. Alle noch in einer Reihe. Die Kopfschmerzen meldeten sich wieder, sein Schädel war heiß und dröhnte. Behutsam presste er seine Stirn gegen die Fensterscheibe und verschaffte sich wenigstens eine Illusion von Abkühlung.
    Draußen hatte der Wind begonnen, den Nebel aufzulösen. Man konnte schon fast bis zum Rand der Insel sehen.
    Drinnen bei Fin dagegen herrschte völlige Verwirrung. Er schien nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Gedanken geradeaus zu denken. Es war wie ein Irrgarten; wohin er sich wandte, er lief gegen eine Wand.
    Welches Spiel spielte Charlotte mit ihm? Was hatte sie mit den Keanes zu tun? Hatte sie überhaupt etwas mit ihnen zu tun? Verrannte er sich da in eine fixe Idee? Wie passte der falsche Name da hinein? Und an welchem Punkt war das Rauschgift ins Spiel gekommen?
    Er wünschte sich im Augenblick nichts sehnlicher als ein Schild mit der Aufschrift »Notausgang«.
    Er starrte auf die Scheibe, die von seinem Atem beschlagen war. Geistesabwesend hatte sein Finger die Umrisse zahlloser kleiner Fische gezogen.
    Etwas in ihm hatte längst begriffen, dass ihm diese Frau nicht gleichgültig war. Er mochte sie, und es ging weit über bloßen Sex hinaus. Sein Wutausbruch hatte sich nicht gegen sie gerichtet. Sondern gegen seine eigene Ohnmacht, nichts tun zu können. Er wollte diese Frau beschützen. Aber dazu musste er wissen wovor. Er musste endlich wissen, woran er war.
    Seine Wange brannte.
    Er hörte ihre Schritte draußen im Flur, begleitet vom metallischen

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