Die irische Meerjungfrau
gegen sein Gewicht. Ihr Atem verkümmerte zu einem kehligen Stöhnen. Sie rammte ihren Kopf ins Kissen.
Die Welle schwappte wieder hoch. Eine warme, dunkelgrüne Welle. Dieses Mal würde er ihr nicht entkommen. Trotzdem begehrte er auf, stellte sich ihr, kämpfte gegen sie an. Vergebens. Das Wasser schlug über ihm zusammen, wirbelte ihn herum und trug ihn kopfüber davon. Er schnappte nach Luft wie ein Ertrinkender. Aber er schluckte nur Wasser. Salziges Wasser.
Er erinnerte sich nur noch, wie er erschöpft zwischen verschwitzte Laken sank und dachte, dass Ertrinken eigentlich gar nicht so schlimm war.
Einmal, mitten in der Nacht, wachte er auf. Sein ganzer Körper war wie gelähmt, unfähig zur kleinsten Bewegung. Sein Kopf glühte. Mühsam öffnete er die Augenlider einen Spalt. Irgendwo im Nirwana zwischen Wachen und Traum sah er Charlotte, die leise das Bett verließ und ins Badezimmer schwebte. Sie hatte recht gehabt, er hatte Fieber.
Er hörte Wasser rauschen. Seine Meerjungfrau ließ sich ein Bad ein. Dann und wann brauchte sie das, um ihre Flossen und Schuppen zu pflegen …
Ja, er hatte wirklich Fieber.
Er schlief wieder ein. Tauchte ein in diesen wunderbaren Traum vom Ertrinken. Er trieb schwerelos durch dieses bodenlose Nichts, dieses grünschimmernde Meer. Aber er war nicht tot. Im Gegenteil, er nahm jede Einzelheit um sich herum wahr. Fische, die ihn umkreisten. Seegras, das an ihm vorüberdriftete und ihm mit langen Armen fast zärtlich übers Gesicht strich. Er betrachtete von unten die Wasseroberfläche, auf der die Sonnenstrahlen reflektierten. Beobachtete die verspielten Meerjungfrauen. Und wollte nie wieder auftauchen.
16. Papaver somniferum
Morgengrauen.
Nie zuvor war Fin ein treffenderes Wort in den Sinn gekommen. Es beschrieb beinahe poetisch seinen geistigen wie körperlichen Zustand, als er in der Frühe aufwachte.
Durchgekaut und ausgespuckt – das klang weit weniger poetisch, kam der Realität aber weitaus näher.
Das Zimmer war düster. Ein verschwommener Blick auf seine Armbanduhr wollte ihm weismachen, dass es kurz vor halb acht war. Er ächzte und drehte sich langsam auf den Rücken. Sein ganzer Körper tat ihm weh. Er fühlte sich wie ein Marathonläufer, der die Strecke aus Versehen zweimal gelaufen war.
Er spürte etwas Warmes neben sich im Bett. Charlotte. Ihr Atem war ruhig und gleichmäßig. Sie schien tief und fest zu schlafen. In ihrem Hemd mit den langen Ärmeln.
Vorsichtig rollte er sich zur Seite und setzte sich auf, ohne sie zu wecken. Er angelte nach seiner Unterhose, schlüpfte in sein T-Shirt und wankte ins Badezimmer. Erst mal aufs Klo.
Er versuchte ein Niesen zu unterdrücken, und scheiterte kläglich. Rupfte ein paar Blatt Toilettenpapier ab und putzte sich die Nase. Etwas müffelte hier. Er verzog das Gesicht. Sein T-Shirt, das er seit fast drei Tagen auf dem Leib trug. Er brauchte dringend eine Dusche. Und frische Klamotten.
Sein Spiegelbild, das ihn über das Waschbecken hinweg anstarrte, ließ ihn schaudern. Die Haare standen wirr in alle Himmelsrichtungen. Zwei Tage alte Bartstoppeln, bei genauem Hinsehen schon mehr graue als braune. Die Augen blutunterlaufen und fiebrig. Todesmutig zwängte er den Kopf unter den Wasserhahn und drehte das kalte Wasser auf, aber das Ergebnis ließ noch immer zu wünschen übrig. Er griff sich das nächstbeste Handtuch und trocknete sich ab.
Sein Verstand rebellierte. Sie war überhaupt nicht sein Typ. Und trotzdem war es schon wieder passiert. Hatten ein paar Funken genügt, um ihn wieder in Flammen aufgehen zu lassen.
Was war verdammt nochmal so besonders an ihr?
Sie war keine mysteriöse Meerjungfrau, auch wenn ihm seine Phantasie dies nur zu gerne vorgaukeln wollte. Ihr Geheimnis hatte seinen Ursprung nicht in irgendeiner Märchenwelt, sondern ganz irdisch im Hier und Jetzt. Und wenn er nicht aufpasste, kam er noch in Teufels Küche. Wenn er da nicht längst schon war.
Sie war das komplette Gegenteil von Susan. Für eine Sekunde war er sogar bereit zu glauben, es sei ein purer Racheakt seiner Frau gegenüber, dass er mit dem nächstbesten weiblichen Wesen in die Kiste stieg, das ihm über den Weg lief. Aber eine Frau, die jemanden in ihr Bett ließ, der so aussah wie er in diesem Augenblick – da gehörte einiges dazu …
Etwas knisterte unter seinen nackten Zehen.
Er hob ein Stück Plastikfolie auf. Eine durchsichtige, aufgerissene Cellophanhülle.
Seine Finger zitterten. Mit einem Schlag war er
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