Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
passierte ihm halt.
»Ist euch klar, dass euer Vater ein passiver Don Juan war? Bundó hat immer dafür bezahlt, sich wie ein Don Juan zu fühlen, und ich selbst habe das Geschwätz von Don Juan kopiert, um meine schwermütigen Spanierinnen zu umgarnen. Zu den Hütten stieg ich hinab …, zu den Palästen stieg ich hinauf …, so säuselte ich ihnen ins Ohr. Euer Vater hingegen fuhr mit minimalem Einsatz. In Liebesdingen konnte er schlicht und einfach nicht Nein sagen. Ah, und zugleich war er extrem treffsicher, wie eure Anwesenheit in dieser Welt bezeugt. Seht ihr, was die Söhne angeht, war er das genaue Gegenteil von Don Juan.«
Einverstanden, er strebte vielleicht keine weitere europäische Vaterschaft an, aber wir Christofs sind überzeugt, in jenem unheilvollen Winter hätte sich der passive Don Juan, ob gewollt oder ungewollt, ein weiteres Mal einfangen lassen.
Hier das Panorama vor der Katastrophe.
Anfang Oktober 1971, mit zehn Monaten und dreißig Nervenzusammenbrüchen Verspätung nahm Bundó die Schlüssel zur Wohnung in der Via Favència entgegen. An seinem nächsten freien Samstag gab er die paar Groschen, die er angespart hatte, für das nötigste Mobiliar aus. Nach zehn Tagen wurde es geliefert und zusammengebaut – von zwei Transportarbeitern, die auf ihn als internationalen Fernfahrer wie Grünschnäbel wirkten –, und am selben Abend brachte er zusammen mit Gabriel im DKW noch seine Beutestücke von den La-Ibérica-Reisen herüber. Als sie damit fertig waren, blickte Bundó auf die über den Boden verstreuten Kisten, die noch willkürlich herumstehenden Möbel, die nackten Glühbirnen, die Fenster ohne Gardinen, und da kam ihm diese kahle Wohnung so vertraut und gemütlich vor, als hätte er sie schon tausend Mal gesehen. Und er beschloss, gleich über Nacht dort zu bleiben.
»Ohne Bettzeug, bloß mit einer Decke auf der neuen Matratze, und mein Wecker ist der erste Sonnenstrahl …«, so fabulierte er. »Wie damals in Paris, weißt du noch? In einer von den Kisten muss die Fußmatte stecken, die ich an dem Tag abgekriegt habe. Die lege ich als Allererstes an ihren Platz, damit du dich bei mir zu Hause immer willkommen fühlst.«
Bundó und seine Eingebungen. Gabriel hörte ihm noch eine Weile zu und zog es dann doch vor, ihn mit seiner Begeisterung alleine zu lassen. Er hielt ihm die Schlüssel des Lieferwagens hin, denn den sollte Bundó am Morgen zurück zur Firma bringen, und sagte, er werde nun wieder in die Pension gehen.
»Es ist schon acht. Wenn ich mich nicht beeile, komme ich zu spät zum Essen. Wir wissen ja, wie die Rifà sich dann aufregt.«
Es klang wie eine Ausrede, das konnte er nicht vermeiden. Es war für ihn kein leichter Moment. Der Lauf der Dinge, sagte er sich, und es ist schon gut so. Aber zum ersten Mal seit dreißig Jahren, zum ersten Mal, seit sie noch in die Windeln gemacht hatten, würden Bundó und er nun nicht mehr unter demselben Dach wohnen. Zwar hatte jeder für sich schon vor Zeiten begonnen, sich an die Seltsamkeiten dieser Welt zu gewöhnen, und so, wie es allen Menschen geschah – man muss daraus ja auch kein Drama machen –, hatte das Leben sie eingewickelt und auf unerwartete Wege geschickt. Sie hatten sich darüber lustig gemacht, in der Tiefe einer dieser Nächte, in denen du lachst, um nicht zu weinen: »Guck dir an, was wir für Tabernakel sind! Der eine hat über die Welt verstreut drei Frauen und drei Söhne, der andere macht seit Jahren einer Nutte den Hof – pardon, einer Kokotte … Kokotte, das klingt feiner.«
Bei dieser Vorgeschichte schien es undenkbar, dass Bundó und Gabriel nun doch noch lernen sollten, ohne einander zu leben – als wären siamesische Zwillinge nach ihrer Trennung keine Zwillinge mehr, nicht einmal Brüder.
Nachdem Gabriel gegangen war, trat Bundó auf den kleinen Balkon vor dem Esszimmer und beugte sich übers Geländer. Die Wohnung lag im sechsten Stock, beim Hinabblicken schwindelte ihn ein wenig. Er hielt sich am Gitter fest. Es war schon dunkel, unten verschwamm der schwarze frisch gegossene Asphalt mit den Schatten der Nacht. Die neuen Laternen warfen gelbliche Lichtflecken auf die Straße. Auf der einen Seite war der Bürgersteig noch im Bau, morgen würde ihn also der Betonmischer wecken. Er hörte, wie die Haustür zufiel, dann sah er Gabriel die Straße hinuntergehen, zur Bushaltestelle, mit festen Schritten. Er stieß zum Abschied einen Pfiff aus, mit dem sie sich schon als Kinder verständigt hatten,
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