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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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sie weder nach Barcelona noch sonst wohin mitnehmen, aber ich konnte sie auch nicht ganz allein dort zurücklassen, sodass sie sich dann einem anderen Mädchen überstülpen würde. Diese Zweifel zehrten über viele Monate an mir, es war so, wie wenn du dich nicht traust, eine Blutprobe abzugeben, aus Angst vor dem Ergebnis. Und irgendwann war es zu spät. Dann, also nach dem großen Unglück – und wegen des großen Unglücks –, als mein Leben nichts mehr wert war, das ist keine Übertreibung; da stand ich eines Morgens aus dem Bett auf und wusste plötzlich genau, was ich zu tun hatte.«
    Hier verstummte Carolina für ein paar Sekunden, wohl um noch einmal kurz zu überdenken, was sie zu gestehen im Begriff war. Sehr leise fuhr sie fort: »Ich habe das noch nie jemandem erzählt, Christophe. Es muss unter uns bleiben. Also meinetwegen unter uns und deinen Brüdern. Es war am Ende dieses furchtbaren Februars, ein Vormittag unter der Woche, ich wusste, das Papillon war geschlossen und leer. Ich stand auf, nach einer schlaflosen Nacht, mir schwirrte der Kopf. Ich zog mich als Muriel an und bestellte mir ein Taxi. In einer Reisetasche nahm ich meine Carolina-Kleider mit, dazu ein paar Sachen, die ich aufbewahren wollte, vor allem Geschenke von Bundó. Meinen Mitbewohnerinnen schrieb ich auf einen Zettel, ich hätte einen Sonderjob im Papillon zugesagt (das machten wir manchmal), am Abend sei ich zurück. Ich fuhr mit dem Taxi zur Tankstelle, einen halben Kilometer vom Bordell entfernt. Ich hatte eine große Korbflasche von zu Hause mitgenommen und zapfte drei Liter Benzin ab. Die Jungs von der Tankstelle kannten mich, also sagte ich ihnen, es sei für das Auto eines Kunden, er habe mich dafür bezahlt, ihm den Sprit zu bringen. Keine Ahnung, warum der das will, sagte ich, es gibt ja alle Arten von Perversen auf der Welt. Am Straßenrand, so wie mit Bundó an dem Abend, als ich mich in ihn verliebte, ging ich zum Papillon. Kein Auto kam vorbei, alles war still, das Haus schien zu schlafen. Hinten gab es ein Fenster, das zur Vorratskammer ging und auch zu einer zweiten Kammer, wo der Müll aus der Bar lagerte. Die Madame ließ es morgens immer auf Kippe stehen, damit sich ein bisschen frische Luft in den Gestank von Tabak, Raumspray, Desinfektionsmittel und Schweiß mischen konnte. Mittags machte es die Putzfrau dann zu, wenn sie fertig mit dem Saubermachen war. Ich nahm mir einen alten Besenstiel, der auf dem Boden lag, damit kriegte ich die Jalousie ohne Mühe auf. Ich stieg ein und ging hoch in den ersten Stock, zu den Zimmern. Ich verteilte das Benzin da, wo es am besten brennen konnte, auf den Gardinen, Bettlaken, Teppichen. Ich stellte einen der elektrischen Heizöfen an, damit es wie ein Unfall aussah. Mit dem restlichen Benzin zog ich eine Spur die Treppen runter bis zur Theke, die ziemlich wurmstichig war. Dann warf ich ein Streichholz. Alles ging mit einer biblischen Wucht in Flammen auf. Ich hatte gerade noch Zeit, mich nackt auszuziehen und Muriels komplette Aufmachung ins Feuer zu werfen. Die Hitze verbrannte mir fast die Haut, aber das war ein angenehmes Gefühl. Ich stieg wieder durchs Fenster, und draußen zog ich mich als Carolina an. Ich lief durch die Felder, geduckt und ohne mich noch einmal umzublicken, bis zum nächsten Dorf, und von da nahm ich den Bus nach Paris. Als der gerade losgefahren war, überholten uns zwei Feuerwehrautos und ein Krankenwagen. In der Ferne sah man die Rauchwolke. Am Nachmittag, als von dem Haus nur noch Trümmer und Asche übrig waren, bestätigte die Polizei, dass es keine Opfer gab, und die Feuerwehr führte den Brand auf einen Kurzschluss zurück. Schon seit langer Zeit schrie das Gebäude nach einer Renovierung. Schlau, wie sie war, zog die Madame es vor, mich zu vergessen, das Geld von der Versicherung zu kassieren und sich nicht in Unannehmlichkeiten zu verzetteln. Also waren alle zufrieden. Und Lebewohl für immer, Muriel.«
    Vier Monate vor der Opferung Muriels wäre Bundó, der die erste Nacht in seiner eigenen Wohnung verbrachte, für ein bisschen Glut aus der Papillon -Asche sehr dankbar gewesen. Er hatte keine Heizung und fror wie ein Schneider. Zudem verbrämte er, wie es seine Art war, Carolinas Abwesenheit, indem er sich einredete, seine unerwartete Bedrückung sei nicht der Einsamkeit geschuldet, sondern dem eisigen Empfang, den die Zimmer ihm bereitet hatten. Wie undankbar von ihnen! Sahen sie denn nicht, dass bald schon er und Carolina sie gemeinsam

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