Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
früh genug, um ein offenes Restaurant zu finden. Wie immer am Ende eines Umzugs warfen sie die Arbeitskleidung ab, wuschen sich oberflächlich und zogen sich frische Sachen an. Beim Abschied fragten sie die beiden Muskelmänner, ob sie etwas in der Nähe wüssten, und wohl aus einer Art proletarischer Eingebung heraus schlugen sie das Centro Asturiano von Hamburg vor. Petroli konnte sein Glück kaum fassen: Dieses Zentrum fand sich auf keiner seiner Listen!
Christof und Cristoffini haben es ja schon vorweggenommen, aber nun wollen wir es genauer schildern. Während Gabriel und Bundó sich in zwei Teller asturianischer Fabada im Fernfahrerformat buchstäblich hineinstürzten, zog Petroli es vor, an der Bar ein Glas Cidre zu trinken und ins Gespräch zu kommen. Wenn sein Radar ihm spanische Emigranten meldete, waren Müdigkeit und Hunger sofort verflogen. Da stellte ihm jemand Ángeles vor, und binnen einer Sekunde nahm sein Leben eine Wendung um hundertachtzig Grad.
Die Erleuchtung war beiderseitig. Ángeles und Petroli verbrachten zwei Stunden damit, sich in die Augen zu schauen und einander mit Geschichten aus den Nachkriegsjahren zu verführen. (Nach dieser ersten Nacht, so versichern sie, war die Vergangenheit dann nie wieder ein Thema zwischen ihnen gewesen; sie brauchten sie nicht mehr.) Bundó und Gabriel, beide bis oben hin vollgefressen, waren in einer Ecke in zwei Sessel gesunken und eingenickt. Petroli ging zu ihnen, rüttelte sie wach und sagte: »Ich bleibe hier, Jungs.«
»Was sagst du?«, fragte Gabriel.
»Dass ich hierbleibe. Dass ich nicht mit euch zurückfahre. Ich habe die Frau meines Lebens kennengelernt. Seit Jahren treibe ich mich in Lokalen wie diesem herum, und nun weiß ich, wieso. Nein, ich bin nicht betrunken. Ich weiß, ihr glaubt mir nicht, aber die Frau da vorne – jetzt dreht euch nicht um! – heißt Ángeles, und wir sind füreinander bestimmt. Das spüre ich ganz deutlich, und ihr wisst, solche Hellseherei kommt bei mir sonst nicht vor. Falls es trotzdem schiefgeht, schaffe ich es schon alleine zurück. Fahrt ohne mich, bitte.«
Er sagte es derart überzeugt, dass sie nicht widersprechen konnten. Petroli war kein Schwadroneur und auch nicht verzweifelt wie Bundó, der für zehn Minuten im Papillon sein ganzes Leben aufgegeben hätte. Petroli wusste, was er wollte. Er holte Ángeles herbei, stellte ihr seine Kollegen vor, und dann gingen die beiden zusammen nach Norden, / wo, wie es heißt, die Menschen sauber / und edel sind.
Bundó und Gabriel schliefen in den Sesseln wie zwei Engelchen. Petroli hatte die Rechnung bezahlt und die Asturianer gebeten, sie erst aufzuwecken, wenn geschlossen würde. Nach dem Durchfegen rüttelte der letzte Kellner eine Weile an ihnen. Als er sie endlich wach bekam, wussten sie nicht, wo sie waren. Ihnen fiel ein, was Petroli ihnen eröffnet hatte, und sie fragten sich, ob es ein Traum gewesen war. Der Kellner schickte sie höflich hinaus und empfahl ihnen, wenn sie es warm haben wollten, den Hauptbahnhof, der ganz in der Nähe sei und in dem es eine rund um die Uhr geöffnete Bar gebe.
Draußen war die Luft so feucht und kalt, dass sie ihnen wie eine Eisdusche vorkam. Es schlug Mitternacht, weit und breit war kein Mensch zu sehen. Ihre Schritte knirschten auf dem überfrorenen Schnee, immer wieder gab es spiegelglatte Stellen.
»Läuft mir Blut aus den Ohren?«, fragte Bundó. »Ich spüre sie nicht mehr.«
»Hamburg ist unser Everest.«
Sie gingen mit eingezogenen Schultern, trugen zwar Anoraks und Schals, aber zu dünn für die Kälte. Trotz der vier Stunden Schlaf waren ihre Beine schwer und ihre Muskeln steinhart. Im Bahnhof tranken sie jeder zwei Tassen starken Kaffees; in Gesellschaft von drei Trebern und einer Gruppe Hippies, und eher lustlos, als täten sie es nur noch um der Tradition willen, öffneten sie die rechteckige Schachtel, die sie beim Umzug abgezweigt hatten. Sie teilten den Inhalt auf, und wie immer setzte sich unser Vater noch für ein paar Minuten hin, um die Ausbeute im Notizbuch festzuhalten. Dann stiegen sie in den Pegaso.
Gabriel bot an zu fahren. Nun, da es bergab ging, könnten sie, so kalkulierte er, gegen neun Uhr in Frankfurt sein, genau zur rechten Zeit für ein Frühstück mit Sigrun und Christof. Sie würden sie überraschen. Auf den ersten Kilometern, bevor die Heizung mit voller Kraft lief, machte sich Petrolis Abwesenheit besonders schmerzlich bemerkbar. Wenn sie zu dritt in der engen Kabine saßen,
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