Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
Reinigung mit solcher Inbrunst an, dass sie sich an diesem Tag das Himmelreich und das ewige Leben verdienten. Zwar begab es sich dann, dass Seine Eminenz gar keinen Fuß in die Halle setzte, aber das ist eine andere Geschichte.
Abends, nach getaner Arbeit, gingen die drei in der Flughafenbar ein Bier trinken. Sie waren ausgelaugt, konnten vor lauter Wischen ihre Handgelenke nicht mehr bewegen, und diese erste gemeinsame Erschöpfung verbrüderte sie wie ein Geheimnis, das sie teilten. Zudem fanden sie schnell heraus, wie sich ihre Lebensläufe ähnelten. Sayago und Leiva, beide Anfang vierzig, lebten im selben Viertel, Magòria, und waren mehr oder weniger zur selben Zeit nach Barcelona gekommen, vor zehn Jahren. Nach und nach – in ihren Frühstückspausen oder wenn sie zusammen im Bus heimfuhren – stellten sie fest, dass sie beide in der Provinz Jaén geboren waren, in zwei Dörfern, die nur zwanzig Kilometer steiniger Piste voneinander trennten; dass ihre Frauen beide zu Hause als Näherinnen arbeiteten, und zwar für dieselbe despotische Chefin; und dass das Heimweh mit den Jahren immer abstrakter wurde, wie ein Muttermal, auf das du irgendwie stolz bist, wenn du in den Spiegel blickst, an das du sonst aber kaum je denkst.
Sayago, der seine Persönlichkeit durch einen dichten Schnauzer und einen sorgfältig gestutzten Kinnbart zur Geltung brachte, genoss es, solche biografischen Berührungspunkte mit Leiva zu suchen, und fiel ihm mit seinen Fragen oft zur Last. »Sag mal, welchen Lehrer hattest du in der Schule? Doch nicht das Arschloch Paredes, oder? Damals gingen die Lehrer ja noch von Dorf zu Dorf …« Nein, nein, er selbst hatte Fräulein Rosario gehabt, die ihnen süße Dragees schenkte, wenn sie artig waren – zumindest während der sechs Jahre, die er zur Schule ging.
Leiva roch immer ein wenig ungewaschen, aber war ein gutmütiger Typ. Er fuhr sich mit der Hand durchs lange, fettige Haar und zwang sich, ein paar Einzelheiten aus seinem Leben auszugraben, die ihm die Gegenwart schon verschüttet hatte. Manchmal log er auch, aus Faulheit oder um Sayago nicht zu enttäuschen. Aber ja, und ob er sich an die Schaustellerfamilie erinnere, die in jedem Frühling durch die Dörfer tingelte, an die Tochter, die immer mehr zur Frau wurde und von Jahr zu Jahr mehr Bein zeigte, an den Vater, der sie von der Bühne aus überwachte …
Porras war viel jünger, gerade siebzehn geworden. Er war von kräftigem Wuchs, aber ließ schicksalsergeben die Schultern hängen. Er wohnte beziehungsweise schlief im Viertel Verdum, am anderen Ende Barcelonas, zusammen mit seiner Mutter, zwei Brüdern und einer Schwester. Vor vier Jahren, als sie aus Murcia gekommen waren, hatten sie dort eine Wohnung gemietet. Und weil der Junge es satthatte, von frustrierten Lehrern Kopfnüsse verpasst zu bekommen, als Sündenbock in einer Herde von Unverbesserlichen, ließ er sich von seinem großen Bruder, der als Kellner in der Terminalbar arbeitete, am Flughafen unterbringen. Nun standen sie beide jeden Morgen um sieben auf und durchquerten die Stadt auf der Vespa, die sich der Bruder von der ersten Sonderzahlung zum Jahrestag der Nationalen Bewegung gekauft hatte.
Trotz des Altersunterschieds hatte sich Porras vom ersten Tag an gut mit Sayago und Leiva verstanden. Sie ersetzten ihm den Vater, den er nicht hatte, aber ohne die Last der Blutsverwandtschaft. Für die beiden Älteren war Porras weniger ein Sohn als ein Bild von ihnen selbst in früherer Zeit, ein Bild für die Vorstellung, noch einmal ganz von vorne anfangen zu können, ohne die taube Last von lauter Lebensjahren, die nichts mehr bedeuteten.
Es gab noch eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den dreien: Keiner von ihnen war je geflogen. Tag für Tag sahen sie Dutzende von Flugzeugen in Bewegung, hörten, wie sie mehr oder weniger unsanft auf der Landebahn aufsetzten und wie ihre Motoren beim Abflug pfiffen, und doch blieben die gewaltigen Maschinen für sie so unwirklich wie urzeitliche Tiere.
Ich mag sie sehr, diese drei Gestalten, Leiva, Sayago und Porras. Meine Mutter arbeitete fast zehn Jahre zeitgleich mit ihnen am Flughafen und verstand sich bestens mit ihnen. Von ihrem Schalter aus, wo sie sich um aufgebrachte Passagiere zu kümmern hatte, denen das Gepäck abhandengekommen war, sah sie sie ab und zu am Werk, und wenn sie selbst gerade Ruhe hatte, rief sie sie herbei, und sie plauderten eine Runde.
Von Rita weiß ich auch, dass im Februar 1972, also als unsere
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