Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
wärmten sie sich zwangsläufig gegenseitig. Bundó schlief rasch ein, und mit seinem Schnarchen als Begleitmusik nahm Gabriel das Lenkrad fest in beide Hände. In den Winternächten sind alle Autobahnen der Welt gespenstische Orte. Er stellte einen deutschen Radiosender ein. Die Stimmen leisteten ihm Gesellschaft, und obwohl er kein Wort verstand, hatte er das Gefühl, auf diese Weise die Sprache zu lernen.
Um halb sieben ging die Sonne auf, hinter einem grauen tief hängenden Himmel. Gabriel wartete noch eine Weile, dann weckte er Bundó.
»Komm mal wieder zu dir, wir sind schon an Kassel vorbei. Fehlt nicht mehr viel bis Frankfurt.«
Bundó rutschte im Sitz hin und her.
»Nein, nein, wir können da nicht halten. Sonst sind wir zu spät in Frankreich. Weißt du, welcher Tag heute ist? 14. Februar, Sankt Valentin, Tag der Liebenden! Ich habe Carolina versprochen, dass ich sie besuche. Du kannst mich nicht hängen lassen!«
Gabriel überlegte einen Moment, ob er mit ihm streiten sollte, aber dann drückte er aufs Gaspedal, ohne etwas zu entgegnen, er nickte bloß schwerfällig. Er hatte keine Zeit gefunden, Sigrun Bescheid zu sagen, dass er kommen wollte. Also war es auch nicht so schlimm, wenn er fernblieb.
Wie oft würde er später an diesen Moment des Zögerns zurückdenken? Wie oft würde er seine Unentschlossenheit verfluchen?
»Wenn es dir recht ist, gehen wir an der nächsten Raststätte frühstücken, und dann fährst du.«
Bundó gab nur ein Schnarchen zur Antwort. Gabriel begann zu bezweifeln, dass er ihn eben überhaupt hatte sprechen hören.
Etwa zwanzig Kilometer weiter, auf gerader, abschüssiger Strecke, der Pegaso raste wie ein geflügeltes Pferd, da nahm etwas Gabriel die Sicht, als hätte er ein Sandkorn im Auge. Zugleich zog eine unwiderstehliche Kraft ihm die Stirn nach vorne. Nun war auch er eingeschlafen.
In der Außenwelt begann es wieder heftig zu schneien.
Zweiter Teil
Ankünfte
1
A M F LUGHAFEN
Cristòfol ist an der Reihe
Im Frühjahr 1968 erstrahlten die Gänge und Wartebereiche des Flughafens von Barcelona in einem trügerischen Glanz, wie mit Glatteis überzogen. Obwohl die Einweihung des neuen internationalen Terminals durch den spanischen Luftfahrtminister schon einige Wochen zurücklag, hörten die Schwierigkeiten nicht auf. Wenn sich morgens die Tore öffneten, blendete der über Nacht gewachste Marmor so sehr, dass man die Augen zusammenkneifen musste, und er spiegelte die Hallenwände, in einem zeittypischen amtlichen Beige gehalten, in ihrer ganzen Herrlichkeit. Doch mit jedem Reisenden, der darüberlief, von Eile getrieben oder von Verspätung gelangweilt, Taschen und Koffer schleifend, Zigarettenkippen abwerfend, wurde der Boden stumpfer und verlor an Überzeugungskraft. Um die Mittagszeit sahen die meistbetretenen Stellen aus wie seit Jahren aufgegeben, und die ganze Halle wirkte wie ein Mausoleum, feindselig und voller Asche. Irgendein Offizieller musste darauf aufmerksam geworden sein, beim Transit oder beim nervösen Auf-und-ab-Gehen in Erwartung hohen Besuchs (ziellose Schritte, dunkle Brillengläser), und so heuerte die Direktion drei Männer an, die ihre ganze Arbeitskraft für eine einzige Aufgabe zu verwenden hatten: zu fegen, zu wischen, den Flughafen zum Glänzen zu bringen, als sollte ihn jeden Tag wieder der Generalísimo persönlich in Betrieb nehmen.
Die Auserwählten hießen Sayago, Leiva und Porras, und sie begegneten sich im Büro des Direktors zum ersten Mal. Ein Tischkalender mit Iberia -Reklame zeigte den 21. Juni 1968 an. Obwohl niemand es von ihnen verlangt hatte, standen die drei Arbeiter in einer Reihe stramm, mit durchgedrücktem Kreuz, als wären sie zur Musterung angetreten vor diesem Herrn mit heimtückischem Gesicht. Der Direktor widmete ihnen fünf Minuten, um sie über ihre Mission zu unterrichten, ließ sie beiläufig wissen, dass er sich zum Dichter berufen fühlte, und ordnete dann an, sie sollten unverzüglich mit dem Saubermachen beginnen. Ja, er wusste, man hatte ihnen gesagt, sie würden erst am Montag anfangen, doch nun war für den Abend ein italienischer Kardinal angekündigt, zur Zwischenlandung auf dem Weg nach Jerusalem, und zu seinem Empfang würden sich allerhand kirchliche und politische Würdenträger einfinden. Da musste der Marmor des Flughafens ergleißen wie der des Petersdoms. Das sei für sie die Feuerprobe.
Leiva, Porras und Sayago rannten los, um sich in ihre Dienstkleidung zu werfen, und sie gingen die
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