Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
Geschichte weitergeht, der Gockel von Flughafendirektor nach einem schweren Infarkt schon die Malven nährte und die Bücher mit seinen Versen auf dem Markt von Sant Antoni verramscht wurden. Die drei Reinigungsmänner hingegen schoben weiter den Schrubber durch den Flughafen, von einem Ende zum andern, mit größter Sorgfalt, und die Freundschaftsbande zwischen ihnen hatten sich auf wundersame Weise verschlungen wie die Handlungsfäden in der Schlussszene einer Tragikomödie. Schon lange hatten die Frauen von Leiva und Sayago bei der Chefin gekündigt, die sie schlecht behandelte, und stattdessen ihre eigene kleine Näherei eröffnet. Beide Paare gingen außerdem sonntagnachmittags zusammen tanzen. Montags wussten die beiden Freunde dann oft nicht, was sie sich noch erzählen sollten, aber das störte sie nicht. Sayago fielen nicht mehr viele Fragen an Leiva ein, der zwölf Kilo zugenommen hatte, drei pro Jahr, und beim Umkleiden weiterhin keinen Kamm anrührte. Nein, die Fragen richteten sich jetzt an Porras, denn der war neuerdings mit Sayagos sechzehnjähriger Tochter liiert. Jeden Abend auf dem Rückweg von der Arbeit holte er sie mit der vom Bruder geerbten Vespa in der Drogerie ab, wo sie als Verkäuferin angefangen hatte, und zwei Stunden später brachte er sie nach Hause. Am Morgen nutzte dann Sayago die erstbeste Gelegenheit, um ihn sich zu schnappen und ins Verhör zu nehmen. Wo waren sie am Abend gewesen, was hatten sie im Zimmer bei geschlossener Tür getrieben, hatten sie Pläne? Die Vorstellung, ein verfrühter Großvater zu werden, machte ihm entsetzliche Angst, und dass seine Nerven blank lagen, konnte man daran merken, dass er unablässig an seinen Schnurrbartspitzen zupfte. Leiva schaute währenddessen von fern zu und dankte Gott dafür, dass seine Frau und er nur zwei Söhne hatten, keine Tochter.
Wenn ich euch von diesen drei Heiligen erzähle, Christofs, dann nicht aus Freude an der Abschweifung, sondern weil es einen Moment gibt, in dem ihr Eingreifen entscheidend für unser Leben ist. Ja, auch für eures. Ihr werdet sehen. Durch eine kleine Gaunerei haben sie es sich verdient, den Rand dieser Geschichte zu verzieren.
Lasst mich zunächst erzählen, wie ich zum ersten Mal ihre Gesichter sah. Ich muss etwa sieben Jahre alt gewesen sein, da kam ich einmal mit meiner Mutter bei Nièpce vorbei, dem Fotoladen, den es damals an der Ecke Carrer Fontanella und Via Laietana gab. Wir blieben stehen, um im Schaufenster einen riesigen Abzug zu betrachten, ein Meter mal ein Meter zwanzig, schwarz-weiß.
»Such mich«, sagte meine Mutter. »Mal sehen, ob du mich findest.«
Ich schaute mir die drei Reihen herausgeputzter Leute auf dem Foto an, ohne recht zu begreifen, was sie von mir wollte, aber ich entdeckte sofort ihr Gesicht, eine bläuliche und ekstatische Präsenz, wie eine Kerzenflamme, am linken Rand der obersten Reihe. Patsch, ein Kinderfingerabdruck verunreinigte das Schaufenster.
Für die Aufnahme hatte das ganze Team der Flughafenangestellten posiert. Rund fünfzig Männer und ein Dutzend Frauen, alle im Sonntagsstaat. Ein hoher Beamter des Luftfahrtministeriums war feierlich in den Ruhestand verabschiedet worden, und einer der Aspiranten für seine Nachfolge hatte den Einfall gehabt, dieses Erinnerungsfoto zu machen, unmittelbar vor den Ansprachen und den Häppchen. Bei Nièpce waren sie offenbar sehr stolz darauf, oder es zwang sie irgendeine persönliche Verpflichtung, jedenfalls ließen sie es jahrelang im Fenster stehen. Es hatte schon fast den Status einer offiziellen Sehenswürdigkeit erlangt, eines festen Bestandteils der städtischen Topografie, so wie das Schild des Musikgeschäfts Werner, zwei Häuser weiter, oder das gigantische Thermometer von Òptica Cottet am Portal de l’Àngel. Rings um das Foto von meiner Mutter waren Studioaufnahmen drapiert, die ebenfalls nie ausgewechselt wurden und für die meisten Passanten genauso langweilig sein mussten: ein Jahrgang examinierter Juristen von der Universitat de Barcelona, alle mit Robe und Doktorhut; eine Miss-Barcelona-Kandidatin von 1977, mit einfältigem Gesicht und Schottenröckchen; ein kicherndes Brautpaar beim Versuch, das zuckrige Glück des Hochzeitstages auszustrahlen.
Das Bild wurde mir als Kind zu einem beliebten Zeitvertreib. Immer wenn wir in die Nähe der Plaça Urquinaona kamen, bat ich meine Mutter um den Schlenker zu Nièpce, damit ich sie auf dem Foto suchen könne. Um das Spielchen interessanter zu machen, oder
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