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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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Restaurant. Sie machen Ausflüge nach Sant Joan les Fonts und, zu Fronleichnam, nach Sitges.
    1956: Rita Manley Carratalà wird eingeschult, bei den Nonnen des Sagrat Cor.
    1964: Die Jugend lässt sich die Haare wachsen, was El Nuevo Sansón nicht schadet. Im Gegenteil. Conrad freut sich an dem Gedanken, dass all die Langmähnigen den Friseuren das Geschäft verderben. Es dauert nicht lange, bis ein paar Liedermacher mit ungesunder Haut und vorzeitigem Haarausfall im Perückenladen auftauchen.
    1967: Oktober. Zum ersten Mal in seiner Geschichte schließt El Nuevo Sansón für eine Woche wegen Urlaubs. Das Ehepaar Manley Carratalà hat eine Reise nach Paris vor. Dort erwartet die beiden ein Zimmer im Ritz an der Place Vendôme, außerdem eine Besichtigungstour durch die Stadt des Lichts. Der Louvre, Versailles, eine Fahrt auf der Seine mit dem Bateau-mouche . Nachdem sie ihnen die Abschiedsküsse gegeben hat, hört Rita von ihrem Bett aus, wie sich hinter den Eltern die Wohnungstür schließt. Lustlos blättert sie weiter in der Garbo.
    Da sind wir also wieder. Rita blätterte in der Garbo. Zehn Uhr am Samstagmorgen, und sie wusste nicht, wie sie anfangen sollte, all die Freiheit zu nutzen. Die angenehme Stille der Wohnung legte ihr nahe, bis mittags im Bett zu bleiben. Wenn sie noch einmal einschliefe, würde die Mutter sie nicht mit ihrem üblichen Samstagskrawall wecken, einer Symphonie aus hochgerissenen Rollläden, grellen Klagen und lauten Vorwürfen. Eine Weile lang genoss sie das ungestörte Nichtstun, dann beschloss sie, dass sie jemandem davon erzählen müsse. Sie stieg aus dem Bett und trat in den Flur, um ihre Freundin Raquel anzurufen. Während sie die Nummer an die Zentrale durchsagte, fiel ihr Blick auf einen Briefumschlag neben dem Telefon, der den Schriftzug eines Reisebüros trug. Schnell hängte sie ein und öffnete den Umschlag. Die Flugtickets ihrer Eltern. Vuelo IB 1190. Barcelona–Paris. Sie schrie auf. Unter ihren nackten Füßen spürte sie die Kälte der Bodenfliesen, die ihr die Beine emporkroch und sie lähmte. Sie fragte sich, was man tun könnte, doch der Gedanke, dass die Eltern ihren Flug verpassen und ihr diese Woche kaputt machen würden, legte ihr Gehirn lahm. Da hörte sie den Schlüssel im Schloss, die Wohnungstür wurde aufgestoßen. Conrad stürmte herein, mit dem verzerrten, auseinanderfallenden Gesicht, das bei ihm höchste Aufregung verriet. Kleine Schweißbäche rannen ihm unter der Perücke im Alain-Delon-Stil hervor die Schläfen hinunter.
    »Wir waren schon bei der Plaça d’Espanya, da mussten wir das Taxi umkehren lassen! Eine Katastrophe!«
    Und ehe Rita etwas erwidern konnte, riss er ihr die Tickets aus der Hand und rannte wieder hinaus, ohne die Tür zu schließen.
    »Schnell, ihr schafft es noch!«, rief sie ihm hinterher. »Gute Reise!«
    »Ei, ei, ei, ei, ei …!«
    Die aufgebrachte Stimme ihres Vaters verlor sich in den Tiefen des Treppenhauses. Rita zog die Tür mit dem Gefühl zu, dass die Wohnung nun ihr Eigentum sei, und kehrte in ihr Zimmer zurück, ohne Raquel anzurufen. Sie ließ sich wie ein Sack aufs Bett fallen, malte sich aus, wie Conrad und Leo nun im Taxi eine Szene machten und sich dabei natürlich wie Trottel aufführten. Die enge, biedere und glanzlose Welt ihres Elternhauses war das Gegenteil von all der geschmackvollen Eleganz, die sie Woche für Woche in der Garbo antraf. Tony Franciosa, Ira von Fürstenberg und Prinzessin Soraya hatten sie verdorben, mit ihrer Freizügigkeit gegenüber aufdringlichen Interviewern oder bei Fototerminen an den Stränden der Côte d’Azur. Rita gab sich der Qual hin, sich ihre Eltern in den Straßen von Paris vorzustellen. Entweder hatten sie sich verlaufen, oder sie saßen in einem mäßig luxuriösen Restaurant, wo Conrad, der sich einbildete, Französisch zu sprechen, weil er »Sivuplee« sagen konnte, nach der Speisekarte fragte, dabei sein Miniwörterbuch in der Hand hielt und sein lächerlichstes Gesicht aufsetzte.
    Um diese Bilder zu verscheuchen, schlug Rita erneut die Zeitschrift auf. Auf den ersten Seiten fand sich, wie jede Woche, das Horoskop, das ein gewisser Argos schrieb, unterteilt in zwei Hälften, eine für die Männer, eine für die Frauen. Sie suchte ihr Sternzeichen, Jungfrau, und las den Text in der Rubrik Für Sie. Der Seher empfahl ihr ganz allgemein, nicht die Hoffnung aufzugeben, und über die Woche sagte er, sie sei hell, mit Tagen reich an Zuneigung und Geschenken. Rita füllte

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