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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordi Punti
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aufgebrachten Reisenden zu widmen.
    Rita war als Lehrling angetreten, doch nach wenigen Monaten beherrschte sie schon alle Tricks. Gerade ihrer jugendlichen Unschuld wegen hatte man sie für diese Arbeit ausgewählt, der Anblick ihres Engelsgesichts konnte noch den kriegerischsten Gegner entwaffnen. Wie bei allen, die in diesem Büro arbeiten, waren ihre Hauptfunktionen die des Kummerkastens und des Sündenbocks. Sie musste sich geduldig das Gezeter der Kunden anhören und sie glauben machen, dass sie außergewöhnliches Pech hätten und dass dergleichen so gut wie nie vorkomme.
    »In den ersten Stunden«, so erzählte sie, als sie einmal diese Phase ihres Lebens für mich Revue passieren ließ, »hatte ich es mit den leichteren Fällen zu tun. Das waren Passagiere, die einen Überseeflug hinter sich hatten und, vom Jetlag geplättet, nicht wussten, ob es Tag oder Nacht war. Da merkten sie plötzlich, dass ihr Gepäck fehlte. Während ich ihnen erklärte, dass es sich wohl noch in Buenos Aires oder New York befand und ganz sicher am nächsten Morgen ankäme, stützten sie sich todmüde auf dem Schalter ab und kriegten den Mund kaum auf. Nur mit Mühe konnte ich sie dazu bringen, das Formular richtig auszufüllen, aber wenn sie das geschafft hatten, zogen die meisten von ihnen resigniert und ohne weiteres Theater ab. Man muss aber auch wissen, dass das andere Zeiten waren. Heute fliegen ja alle dauernd, aber damals noch nicht. Die Tickets waren teuer, und die Passagiere wurden von der Fluggesellschaft wie Fürsten behandelt … Ab elf Uhr kamen die Geschäftsmänner, fast immer mit blutjunger Sekretärin. An ihrer Laune konntest du erkennen, ob das Mädchen auch mit ihnen ins Bett ging oder nicht. Wenn sie Ausländer waren, sprang eine Kollegin für mich ein, die Englisch radebrechte. Ich war für die Spanier und Südamerikaner zuständig. Und die waren natürlich die Schlimmsten. Was für Schnösel! Du sahst aus einer Meile Entfernung, dass der Franquismus ihnen die Taschen gefüllt hatte, und Taschen sage ich, weil sie nicht einmal ein Portemonnaie benutzten, sie liefen noch mit diesen Geldscheinbündeln im Gummiband herum. Für ein paar Tage entflohen sie ihrem Provinzkaff, hochnäsig und ohne Manieren, und sie glaubten, in Barcelona würde ihnen zu Ehren der rote Teppich ausgerollt. Oft war der einzige Weg, sie zu bändigen, das Bündnis mit der Sekretärin zu suchen. ›Ich bitte Sie im Namen unserer Gesellschaft um Entschuldigung, Señor de Fulano. Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr wir es bedauern, dass Ihnen und Ihrer Gattin diese Unnanehmlichkeit widerfährt.‹ Wenn nötig, trieb ich das auch noch ein bisschen weiter: ›Sie sind doch nicht etwa auf Hochzeitsreise, oder? Sie sehen so verliebt aus!‹ Da wurden die Männer immer knallrot und fingen an zu stammeln, und die jungen Damen nahmen die Situation in die Hand. Ohne etwas abzustreiten, nannten sie mir den Namen des Hotels, in das wir ihnen das Gepäck nachschicken sollten, und nahmen das Necessaire, das es geschenkt gab, gerne an. Es kam sogar vor, dass eine mir zum Abschied verschwörerisch zuzwinkerte. Mittags lösten dann die Touristen und die Reisenden in persönlichen Angelegenheiten die Geschäftsmänner ab. Leute, die mit einem Problem ins Flugzeug gestiegen waren und nun merkten, dass sie zwei Probleme hatten. Es war Essenszeit, und anstatt im Restaurant zu sitzen oder zurück zu Hause zu sein, mussten sie Schlange stehen, um einen fehlenden Koffer zu melden. Das waren die schwersten Stunden des Arbeitstages. Die Stimmung in der Halle heizte sich auf, alle wurden immer reizbarer. Wenn mich da jemand zu laut anschrie oder darauf bestand, dass ich die Guardia Civil verständigen solle, musste ich auf meine Geheimstrategie zurückgreifen, die zugleich eine Hommage an Conrad und Leo war. ›Seien Sie nicht so pessimistisch‹, sagte ich zu dem Motzkopf, ohne die Stimme zu erheben, ›Ihnen hätte ja viel Schlimmeres passieren können.‹ Da machte ich eine Kunstpause und setzte meine Leidensmiene auf. ›So wie meinen Eltern.‹ Und Stille. Bis der Kunde nach ein paar Sekunden nachhakte: ›Was ist denn Ihren Eltern passiert, Kindchen, wenn man fragen darf?‹ Schon klang die Stimme viel sanfter. Ich musste bloß noch das Flugzeugunglück erwähnen, an das sich jeder erinnerte, und das Ganze mit einer kleinen effektvollen Lüge krönen: ›Vielleicht haben Sie mich damals in der Wochenschau gesehen. Ich war das Mädchen mit dem verlorenen

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