Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
Stockholm, Paris oder New York (Städte, aus denen es zufälligerweise Direktflüge zum Prat gab) beziehungsweise im Umkreis von hundert Kilometern um eine dieser Metropolen, und vor allem – besonders wichtig! – musste er zwischen dem 10. November und 7. Dezember 1941 geboren sein. Dieser Zeitraum gewährleistete eine unschlagbare Verbindung zwischen ihrem Aszendenten und dem ihres Zukünftigen.
Nein, Christofs: Wenn ihr dachtet, er würde tatsächlich Gabriels Geburtstag nennen, habt ihr euch getäuscht. Das wäre zu einfach. So bereitwillig lässt sich das Schicksal dann doch nicht streicheln.
Am Montag nach ihrem letzten Besuch beim Magier Jorgito – es fällt mir wirklich schwer, diesen lächerlichen Namen auszusprechen – wusste Rita alle Daten, die er ihr gegeben hatte, längst in- und auswendig. Ihr Gehirn wiederholte sie ohne Unterlass, wie einen Ohrwurm, den man nicht loswird. Als der erste männliche Kunde des Tages vor den Käfig trat, bat sie ihn wie gewohnt um seinen Pass, um das Formular auszufüllen. Er war ein zurückhaltender, gepflegter und sportlicher Mann um die dreißig, und als Rita sah, dass sein Geburtsdatum nicht passte, nicht einmal sein Geburtsjahr, erlebte sie zum ersten Mal die Enttäuschung, die sich danach vielhundertfach wiederholen sollte. Sie machte sie so oft und mit so vielen Männern durch, dass sie sogar begann, dieses Gefühl zu genießen. Allein die Möglichkeit des Erfolgs wirkte schon wie eine Belohnung.
Ein paar Monate lang, bis sie sich daran gewöhnt hatte, lebte Rita in ständigem emotionalem Aufruhr. Sobald sie sah, dass ein Geburtsdatum in die vom Astrologen ausfindig gemachten November- oder Dezembertage fiel, zog sie, selbst wenn das Jahr nicht stimmte, die Befragung des Passagiers in die Länge und versuchte sich Aufschluss über seine Persönlichkeit zu verschaffen. Manchmal verstieg sie sich vor lauter Begeisterung zu ganz unangemessenen Erkundigungen. »Übrigens, sind Sie verheiratet?«, war sie imstande, im Tonfall einer Wissenschaftlerin zu fragen. Die Kollegen hoben verwundert die Köpfe. Die einen blickten fassungslos, die anderen mussten über die Unverfrorenheit lachen.
»Nein, bin ich nicht«, sagte der Reisende indigniert. »Aber ich verstehe nicht, was das mit meinem verlorenen Koffer zu tun haben soll.«
»Einiges. Wären Sie verheiratet, so hätte Ihnen wahrscheinlich Ihre Gattin den Koffer gepackt. Und hätte Ihnen ein Adressetikett drangemacht. Wir Frauen sind da vorausschauender.«
Jede Bemerkung, jede Reaktion half ihr dabei, sich ein Bild von ihrem perfekten Mann zu machen. Auch dabei, ihn zu vermissen, ohne ihn je gekannt zu haben. An einem Tag zum Beispiel hatte sie es mit einer Frau aus Mallorca zu tun, die eine Reisetasche vermisste. Sie ließ sich ihren Ausweis geben und sah, Macht der Gewohnheit, nach dem Geburtsdatum. 11. November 1941! Ihr Herz machte einen Sprung, und nervös wie nie zuvor, behandelte sie die Kundin mit einem Überschwang, der sie fast verscheuchte. So nah dran war noch keiner, sagte sie sich, und sogleich fühlte sie sich zu der Frau hingezogen. Klar, sie war kein Mann, dennoch begann sie sie so hartnäckig auszufragen, dass der Armen nachher der Kopf schwirrte und sie mit dem unangenehmen Gefühl wegging, vor einer Fremden ihr halbes Leben ausgebreitet zu haben. Zwei Tage später tauchte die Reisetasche auf, und Rita kümmerte sich persönlich darum. Sie schloss sich im Autopsieraum ein und untersuchte vorsichtig den Inhalt. Zwei Kleider mit Blumenmuster, Unterwäsche, ein Necessaire mit Hautcremes, ein Paar Strandsandalen, ein Bikini im Ursula-Andress-Stil, ein Roman von Françoise Sagan … Rita bewunderte alles mit hirnloser Hingabe, bis sie plötzlich merkte, dass diese Dinge ihr die Frau keineswegs liebenswert erscheinen ließen. Im Gegenteil: Es kam ihr vor, als wären sie das Eigentum einer größeren Schwester, die mehr Glück im Leben hatte als sie selbst, und das belastete sie mit einem Anflug schamvoller Missgunst. Sie packte alles wieder in die Tasche und ließ sie an die Adresse der Frau schicken, nur den Bikini behielt sie als Entschädigung für sich. Am Abend probierte sie ihn zu Hause vor dem Spiegel an. Er passte ihr wie angegossen, doch ihr Versuch, die herausfordernde Pose von Ursula Andress in dem James-Bond-Film nachzuahmen (das Foto hatte sie einst aus der Garbo ausgeschnitten), verunglückte zu einem lachhaften Krampf. Da tat sie sich selbst leid.
In ähnlichen Episoden zerschlug
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