Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
Fahrstuhlführer des Monuments begrüßt und sogar auf den Kauf eines Tickets verzichtet. So übersinnlich es euch erscheinen mag, Christofs: Bundó rettete ihm das Leben. Und zwar durch ein Einschreiten aus dem Jenseits, das jegliche Geduld und Hilfe mehr als aufwog, die unser Vater seit frühester Kindheit seinem Busenfreund hatte zuteilwerden lassen.
Die Hilfe des verstorbenen und wiedergeborenen (oder sollte man sagen, wiederverflüssigten?) Bundó kam doppelt gelegen, denn zu der Zeit hatte Rita schon ausgeschlossen, dass sich Gabriel auf Seite 27 ihres Straßenverzeichnisses versteckte, und wäre niemals vor dem Denkmal erschienen, um ihn in letzter Minute von seinem Vorhaben abzubringen.
Ihr Elan bei der Suche anhand des Stadtplans war von einem Tag auf den anderen erloschen. Eine wichtige Neuigkeit hatte die eigentümliche Methode obsolet gemacht; eine Neuigkeit, die etwa in dieselbe Zeit fiel, in der Gabriel die Suizidkette entdeckte und beschloss, sich ihr anzuschließen.
In der ihr eigenen Hartnäckigkeit hatte Rita sich ihre Recherche seit Wochen zur Gewohnheit werden lassen. Jeden Morgen, wenn sie am Flughafen eintraf, kontrollierte sie als Erstes, ob die schwarze Segeltuchtasche im Käfig aufgetaucht war. Dass die Antwort immer wieder Nein lautete, machte ihr nichts aus, und einige der Kollegen waren mittlerweile überzeugt, sie habe den Verstand verloren. Ein ums andere Mal mahnten sie, sie solle sich die Sache aus dem Kopf schlagen, die verdammte Tasche würde nie wieder zum Vorschein kommen. Dass Gepäck verschwand, war doch ihr täglich Brot, und das wusste niemand besser als Rita. Doch dann, Ende April, kam es zu der lang ersehnten Erscheinung.
Allerdings materialisierte sich die schwarze Tasche nicht so, wie sie es sich tausendfach ausgemalt hatte, sondern stückweise. Sie war gerade mit einem Passagier fertig, dem letzten in der Warteschlange, und wollte sich, bis der nächste Schwung kam, auf einem Hocker hinter der Käfigtheke ausruhen. Seit sie jeden Nachmittag kilometerweit durch die Stadt lief, hatte sie Muskeln in den Beinen bekommen, aber die Fußsohlen taten ihr weh. Es war ein Uhr mittags und nichts los. Der Chef war zu Tisch gegangen. Da es keine Kunden zu betreuen gab, hätte sie im Lagerraum die verlorenen Koffer ordnen sollen, die an diesem Vormittag eingetroffen waren, doch sie hatte keine Lust. Am anderen Ende der Halle zeichnete sich die Dickhäutersilhouette von Leiva ab, der einen Besen vor sich her schob. Er war wegen einer Grippe krankgeschrieben gewesen, und Rita hatte ihn seit Tagen nicht gesehen. Allmählich, während er den Marmorboden fegte und blank schrubbte, in so kunstvollem Zickzack wie ein Skiläufer beim Slalom, bewegte er sich auf den Käfig zu. Rita gähnte. »Bist du schon wieder gesund?«, fragte sie ihn, als er in Hörweite war. Die Freundschaft der beiden beruhte auf gegenseitiger ironischer Geringschätzung. Sie verstanden es, ihre Witzeleien bis zur Schmerzgrenze zu treiben, einander aber nicht wirklich wehzutun. Mit Porras hingegen ging es vor allem um Anzüglichkeiten, die sie zu neutralisieren pflegte, indem sie ihn als Großmaul bezeichnete, und ihr Verhältnis zu Sayago war das von hysterischem Vater und rebellischer Tochter; die Gespräche endeten meist mit einem kindischen »Ja, Papa« ihrerseits. Mit Leiva kam sie besonders gut ins Spiel, denn seit ein paar Monaten versuchte er sich daran, mit ihr Katalanisch zu sprechen.
»Wie war denn dein Urlaub?«
»So mittel«, antwortete er und verzog das Gesicht. Ihr Gähnen hatte ihn mit etwas Verspätung noch angesteckt. Dann hielt er sich die Hand an die Stirn, um zu prüfen, ob er Fieber hatte, und zog sie sofort wieder zurück, als hätte er sich verbrannt. Er ließ den Besen zu Boden fallen.
»Wie spät haben wir? Sag mir, dass es schon zwei ist, lüg mich an wenn nötig.«
»Es ist schon zwei.« Sie ließ ein paar Sekunden verstreichen, damit er es glaubte. »Nein, gerade erst eins. Tut mir leid. Hast du keine Uhr um?«
»Aber natürlich, die Festina, die ich zur Hochzeit bekommen habe.« Er schob sich den Ärmel hoch, um ihr sein vergoldetes Handgelenk zu präsentieren. »Aber jetzt, als ich krank war, ist sie stehen geblieben, ich muss sie reparieren lassen. Ich habe sie trotzdem weiter um, denn ohne sie fühle ich mich nackig.«
»Also ist es für alle das Beste, wenn du sie nie ablegst.«
Beide lachten. Leiva stützte sich mit seinem ganzen Gewicht auf der Theke ab. Er gehörte zu den
Weitere Kostenlose Bücher