Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
Gegenspieler in jener Nacht waren Salvans und der Student aus Berga (entschuldige bitte, Junge, wir wissen deinen Namen nicht). Ein Kohlenbecken unter dem Tisch wärmte alle vier, doch der aus Berga hatte zusätzlich die Handschuhe mit abgeschnittenen Fingerspitzen an, die er auch beim Studieren zu tragen pflegte. Wie üblich fingen Bundó und Gabriel an, nach drei oder vier Runden mühelos zu gewinnen. Sie spielten schon lange zusammen und verfügten über ein ausgefeiltes Alphabet von Gesten und Grimassen, die niemand anderem auffallen konnten. Gabriels Schummeleien taten ihr Übriges – von denen allerdings wusste Bundó damals noch nichts. Am Ende einer besonders langen Runde kündigte Gabriel einen entscheidenden Zug an und legte seine Karten feierlich auf den Tisch. Der Student warf sein Blatt kapitulierend hin.
»Was habt ihr denn für ein Schweineglück?«, schimpfte er. »Die ganze Nacht kriegt ihr die Trümpfe!«
»Das ist kein Glück, Kleiner, das ist Können«, entgegnete Gabriel, und seine Worte rochen nach Cognac.
»Aha, da spricht der Profi. Und wo habt ihr das gelernt? Im Casino von Monte Carlo?«
»Nichts da. Wir haben unser Diplom in der Casa de la Caritat gemacht«, gab Bundó spöttisch zurück. »Die Nonnen brachten uns zuerst den Katechismus bei, dann Botifarra, Brisca und Set i mig. Und da wurde immer um echtes Geld gespielt, sie nahmen es aus der Kollekte.«
Konzentriert und mit gesenktem Blick mischte Lluís Salvans die Karten und teilte sie wieder aus, als gäbe es nichts mehr zu sagen. Doch am Ende des nächsten Spiels wandte er sich unvermittelt an Bundó: »Du bist also hier nebenan in der Casa de la Caritat aufgewachsen. Bist du Waise?«
»Ja, wir beide.« Bundó machte eine Kopfbewegung in Richtung Gabriel. Ihn überlief ein Schauer von Stolz, den er lange nicht mehr gespürt hatte.
»Und wo bist du geboren, wenn man fragen darf?«
»Natürlich darf man. El Vendrell, sagt mein Ausweis. Warum?«
»Nur so. Aus Neugier.«
Lluís Salvans war ein Mann, der nicht viele Worte machte, und mit seiner Neugier war es schon wieder vorbei. Das Spiel dauerte noch eine Stunde, bis die Kohlen ausgeglüht waren und der Soberano geleert war, dann gingen sie alle vier schlafen.
Zwei Tage später lief Bundó abends über den Flur, da hörte er durch eine spaltweit offene Tür jemanden seinen Namen flüstern. Lluís Salvans winkte ihn zu sich hinein und schloss die Tür sofort wieder. Er bewohnte das Waldschnepfenzimmer.
»Ich habe bei Leuten nachgefragt, die sich auskennen«, sagte er geheimnistuerisch. Er stand geduckt da, als würde ihm die Tragweite seiner Erkenntnisse den Rücken beugen. Bundó blickte ihn verdutzt an.
»Du weißt, wer dein Vater war?«
»Nein. Ich habe ihn nicht kennengelernt. Die Nonnen sagten mir, er war ein schlechter Mensch, weil er meine Mutter und mich im Stich gelassen hat. Und dass meine Mutter deshalb vor Kummer starb und ich ganz alleine blieb.«
»Nun wirst du die Wahrheit erfahren, Bundó.« Er senkte die Stimme noch weiter. »Deinen Vater haben die Faschisten getötet. Draußen auf dem Camp de la Bota. Sie hatten ihn im Modelo eingebuchtet, und von da aus haben ein paar von den Schweinen ihn dann mitgenommen und erschossen. An dem Ort sind viele unserer Kämpfer gefallen.« Er blickte auf einen Zettel, auf dem ein Datum notiert war. »Deinen Vater haben sie an einem 29. November ermordet. 1941.«
»Aber das ist der Tag, an dem ich geboren wurde!«, schrie Bundó auf.
Lluís Salvans konnte es nicht fassen.
»Was für Hurensöhne! Was für Hurensöhne!«
Sein Gesicht verhärtete sich in einer Weise, die Bundó noch nicht kannte. Das Theater im Esszimmer, wenn er die anderen Mieter beim Lästern zu ertappen glaubte, war kein Vergleich mit dieser Wut.
»Merk es dir ein für alle Mal, Bundó: Dein Vater war ein Held.«
Bundó vergaß diese Worte tatsächlich nie, doch es dauerte einige Tage, bis er sie wirklich verstand. Seine Vorstellung von einem Helden war geprägt von den Capitán-Trueno -Comics, die er, seit sie an den Kiosken in Mode gekommen waren, abends im Bett zu lesen pflegte. Einige Tage nach diesem ersten Treffen klopfte Salvans bei ihm an der Tür, schlüpfte in seiner übervorsichtigen Art herein und gab ihm ein Foto.
»Hier, das kannst du behalten. Aber versteck es gut. Du wirst deinen Vater sofort erkennen, ihr seht ja genau gleich aus. Musst nur mal in den Spiegel schauen. Da wird er so alt gewesen sein wie du jetzt.«
Das Foto zeigte
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