Die italienischen Momente im Leben
gern. Und du magst ihn auch, das weiß ich. Ich habe in meinem Leben viel kämpfen müssen, eine lange Zeit hatte ich drei verschiedene Jobs nebeneinander, aber es ist mir nicht schwergefallen, weil ich abends zufrieden schlafen gegangen bin. Alles, was mein Mann und ich besitzen, haben wir uns auf ehrliche Weise verdient, wir haben uns dafür abgerackert und uns nie auf irgendwelche faulen Kompromisse eingelassen. Das haben wir für unsere Kinder getan. Hier in Kalabrien heißt es, dass man nur etwas erreichen kann, wenn man sich der Macht der N’drangheta beugt. Zum Teil stimmt das, aber mankann auch noch auf ehrliche Weise hier leben, wie du gesehen hast. Hauptsache, du vertraust auf den heiligen Andreas. Weißt du, ich habe das Stück Knochen in das Reliquiar geschmuggelt, unsere Brüder und Schwestern in Brasilien sollten auch etwas haben, damit sie unseren Schutzpatron immer im Gedenken an ihr geliebtes Italien anbeten können.«
19.
PANAREA
1981
Vom kalabrischen Festland aus sieht man schon die unverwechselbare Silhouette von Stromboli und den Nachbarinseln. Mit einer Fähre von Porto di Réggio erreichen wir Santa Marina Salina auf Salina, die grünste der Äolischen Inseln. Mamma Carmela hatte uns, das heißt meinem Freund Pasquale, seiner Schwester Delia und mir, lebhaft einen kurzen Ausflug auf den Monte dei Porri empfohlen, von dessen Gipfel man nach Westen einen atemberaubenden Blick auf die darunter liegende Bucht von Pollara haben soll. Es stimmt! Der natürliche Bogen der Punta di Perciato, eine etwa 300 Meter hohe Felsformation, lenkt unsere Blicke auf geheimnisvolle Weise immer wieder auf sich. Delia kann den Finger gar nicht mehr vom Auslöser ihrer Kamera lassen. Wie verzaubert bleiben wir noch eine Weile stehen, ehe wir uns wieder auf den Weg zur Fähre machen.
Vor einigen Jahren hatte ich die Äolischen Inseln schon einmal mit meiner damaligen Freundin besucht, um den Stromboli, einen auch heute noch äußerst aktiven Vulkan, zu besteigen. Nach einer durchwachten Nacht (ich brauche wohl nicht zu erklären, warum) waren wir morgens mit der Fähre aus Neapel angekommen. Von dort oben hatten wir einen phantastischen Ausblick auf das endlos weite smaragdgrüne Meer, unter brennend heißer Sonne – warum hatten wir bloß nicht mehr Wasser mitgenommen? – standen wir am Rand des Vulkankraters und warteten bang auf den glühenden Lavastrahl, der nach einer gewissen Zeit immer wieder in die Höhe schoss: Unsere Herzen klopften wie wild! Ich erinnere mich daran, dass wir beide aus der einzigen öffentlichen Telefonzelle der Insel mit einer Frau verhandelten, die Zimmer vermietete, eine gewisse Signora Domitilla (ob es sie wohl noch gibt?). Ich erinnere mich an das Baden im kristallklaren Meer, an den Hahn, der immer zu früh krähte, zumindest nach Ansicht von zwei Verliebten, die die ganze Nacht mit Gesprächen – und nicht nur damit – unter dem Sternenhimmel verbracht hatten. An Sternschnuppen, die zu schnell verglühten, um mir rechtzeitig einen Wunsch ausdenken zu können. Aber wie hätte mir auch etwas einfallen sollen, denn eigentlich fehlte mir damals nichts zu meinem Glück.
~ ~ ~
Aber nun zurück zu Pasquale. Er hatte mich eingeladen, das Wochenende mit ihm in seiner hübschen Inselhütte aus Holz auf Panarea, einer anderen Insel des Archipels, zu verbringen. Delia, sein Vater und Mamma Carmela fuhren nach Vulcano zum Fest zu Ehren der Madonna della Grazie, das sie auf keinen Fall versäumen wollten.
Zwei junge Männer allein auf einer Insel ohne Strom – die ideale Gelegenheit, sich in ungewöhnlichen Haushaltspflichten zu üben. Ich muss vor allem meine unglaubliche Faulheit überwinden und mich vier wichtigen Aufgaben widmen: Delias Katzen füttern, Brennholz sammeln, um den von Pasquale selbst gefangenen Fisch zu grillen, Wasser mit Eimern am Brunnen im Hof holen und die Öllampen putzen, damit wir abends außer den Kerzen noch andere Lichtquellen haben. Eigentlich nicht viel Arbeit, doch dann vergesse ich einmal die Katzen, und als ich endlich mit einem voll beladenen Teller vor die Tür trete, in der Hoffnung, sie würden mir meine Vergesslichkeit verzeihen,werde ich mit grimmigem Knurren empfangen, und die zwei fallen über mich her wie ausgehungerte Grizzlys.
In unserer Wohngemeinschaft in Rom funktioniert es mehr oder weniger so: Pasquale und ich teilen uns die Aufgaben wie ein altes Ehepaar. Beim Essen wursteln wir uns so durch, mittags essen wir in der Mensa der
Weitere Kostenlose Bücher