Die italienischen Momente im Leben
kunstvollen Silberschrein aufbewahrte Arm des Heiligen außer Landes gebracht wurde, und so durften die Würdenträger der Gemeinde nur die Kniescheibe des heiligen Andreas mitnehmen. Dennoch rief die Ankunft der Reliquie in Brasilien ein gewaltiges Medienecho hervor, die gesamte nationale Presse und die höchsten Würdenträger der Kirche waren am Flughafen versammelt.
Bei der Ankunft der Delegation in São Paulo war bei der Gepäckkontrolle jedoch ein kleines Stück Knochen aufgefallen, das jemand liebevoll in ein Futteral gebettet und zu der Kniescheibe gelegt hatte. Deshalb sah die Zollbehörde sich gezwungen, ohne Rücksicht auf die religiösen Gefühle der beiden Gemeinden die Reliquie komplett zu beschlagnahmen, da »die Mitführung von nicht genehmigten Leichenteilen« gesetzlich verboten war. Und so stand die Abordnung aus Kalabrien mit Pasquales Vater nicht nur mit leeren Händen vor den erwartungsfrohen Brasilianern, sondern musste wohl oder übel drei Tage später die Rückreise nach Italien ohne die Kniescheibe des heiligen Andreas antreten.
Man kann sich vorstellen, wie groß die Bestürzung bei der Exilgemeinde in Brasilien war, die sich schon so sehr auf den Heiligen aus der alten Heimat gefreut hatte. Noch größer war allerdings die Verzweiflung von Pasquales Vater, als die Reliquie vor seinen Augen beschlagnahmt wurde.
Den quälte nur eine Frage: »Welcher Idiot hat in letzter Minute noch dieses Stückchen Knochen in das Reliquiar geschmuggelt?«
Kurz gesagt, es war ein Fiasko, das nicht nur Fragen spiritueller Natur aufwarf, sondern bestimmt zu politischen Konsequenzen führen würde, sollte der Verlust bekannt werden. Undso verfiel er auf den Gedanken, einen befreundeten Schreiner Ersatz für das echte Stück vom Knie anfertigen zu lassen. Aber konnte der es noch rechtzeitig schaffen, da die Prozession zu Ehren von Sant’Andrea doch bald begann? Wir verstanden schon, warum er sich Sorgen machte; schließlich war er für die Reliquien verantwortlich. Und es hätte das Ende für ihn bedeutet, wenn jemand bemerkte, dass die Kniescheibe des Heiligen fehlte.
Mit der Überzeugungsarbeit hatte er gleich nach der Rückkehr von besagter Reise begonnen. Zunächst sprach er nur davon, was er selbst tun wollte, bis er uns nach und nach alle in seinen Plan einbezog: wie man die Reliquien am besten so anordnete, dass nur der Arm zu sehen war, um unliebsame Kommentare zu vermeiden, und schließlich stellte er die Frage aller Fragen: »Wer holt die Nachbildung vom Schreiner ab?«
Ich erinnere mich noch genau, wie Pasquale untröstlich schien und mit abwesendem Gesichtsausdruck den Kopf schüttelte. Als ich seinem Blick folgte, der auf den Fernseher in einer Ecke der Wohnung gerichtet war, wurde mir allerdings der eigentliche Grund seines Bedauerns bewusst: In Kürze würde dort die Partie Real Madrid – Inter Mailand angepfiffen, zwar nur ein Freundschaftsspiel während der Sommerpause, aber höchst interessant im Hinblick auf die kommende Saison. So schaute auch ich auf meine Uhr und rechnete aus, wie viel Zeit noch bis Spielbeginn blieb. »Wenn man diese verdammte Prozession um eine Stunde nach hinten verschieben würde, könnten wir auch noch die zweite Halbzeit sehen«, sagte ich zu meinem Freund.
Doch da meinte sein Vater: »Bruno! Geh du zum Schreiner, dich kennt hier keiner, und niemand wird Verdacht schöpfen. Hol das Knie ab, und bring es mir in die Kirche. Wir treffen uns in einer Viertelstunde hinter dem Altar.«
Nachdem der Schreiner das Knie noch ein letztes Mal sorgfältig mit Sandpapier abgeschmirgelt hat, übergibt er es mir wie einDieb seinem Hehler die Beute. Ich verlasse seine Werkstatt mit zitternden Händen, die Reliquie in Zeitungspapier eingewickelt, mir kommt es sogar so vor, als würde sie nach Weihrauch riechen. Jetzt bin ich der Wächter über dieses Heiligtum. Der Gedanke ist so aufregend, dass ich einen Moment lang sogar das Spiel und die Zeit vergesse.
Ich übergebe Pasquales Vater das Knie, und die Reliquien des Heiligen werden in feierlichem Zug aus der Kirche getragen. Niemand hat bislang die »gefälschte« Kniescheibe bemerkt.
Station für Station erreichen wir die Piazza, wo wir schon sehnsüchtig von den Gläubigen erwartet werden, die es sich dort klugerweise auf den Bänken bequem gemacht haben. Ich dagegen bin schon völlig erledigt, und in meinen Eingeweiden rumort es fürchterlich. Obwohl es nicht zu heiß ist, bricht mir der Schweiß aus. Als Pasquale mich
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