Die italienischen Momente im Leben
Schauspielakademie, und am Abend gibt es eine Pizza oder einen Teller Spaghetti, Fleisch oder Fisch aus Dosen, ein Bier und vielleicht als Nachtisch Obst, wenn welches da ist. Am Samstag wird eingekauft. Doch ich muss zugeben, dass meine Selbstbeherrschung an den Supermarktkassen schnell – und eigentlich immer – an ihre Grenzen gerät.
Alles scheint sich dort gegen mich zu verschwören: Mal bin ich zu langsam, mal vergesse ich, das Schild für den »Nächsten Kunden« hinzulegen, ich bin einfach unfähig, mich in der Schlange der Einkaufswagen zu behaupten. Deshalb beschließen wir einvernehmlich, dass ich mich in Zukunft um den Abwasch kümmern werde und Pasquale das Einkaufen übernimmt, denn er hat seinen Spaß dabei.
Eines Tages hole ich ihn an der Kasse ab, während er die Sachen in die Tüten packt. Er wartet noch auf seinen Bon – in Italien macht man sich strafbar, wenn man einen Laden ohne Kassenzettel verlässt –, da wird er vom nächsten Kunden überrollt, der versucht, das Ganze etwas zu beschleunigen. Safrantütchen fliegen auf die Tagliatelle, doch Pasquale bleibt gelassen und ordnet mit einem Lächeln die durcheinandergeratenen Einkäufe ... Er will gerade dem eiligen Kunden seinen Platz überlassen, als die Kassiererin ihn zurückruft. Freundlich, aber bestimmt drückt sie ihm zwei Märkchen in die Hand, die klassischen Sammelpunkte, und erklärt ihm, dass er dafür entweder Handtücher aus flämischem Leinen oder ein Geschirrset inklusive Besteck erhalten kann. Währenddessen drängelt der Typ hinter ihm und stapelt seine Sachen auf das Band, vom Weichspüler bis hin zum Vileda-Wischmob. Als Pasquale das sieht,geht der Schalk mit ihm durch, und er schenkt uns einen seiner wunderbaren Auftritte. An dieser Stelle sollte ich vielleicht sagen, dass Pasquale nicht einfach nur ein Komiker ist, sondern ein genialer Mime, Kabarettist und Verwandlungskünstler.
Er schnappt sich den Mob, setzt ihn sich wie einen Hut auf den Kopf, und mit wenigen Handgriffen gelingt es ihm, verschiedene Persönlichkeiten darzustellen: einen Kardinal, einen Piraten, einen Samurai, einen Harlekin, Captain Hook ...
Auf der Schauspielakademie hatten wir ihm dem Spitznamen »Blitz« gegeben, weil er in einer irrsinnigen Geschwindigkeit Kleidung, Körperhaltung und Gesichtsausdruck komplett verändern konnte. Beim Warten an der Ampel oder im Supermarkt, in der Schlange bei der Post oder in der Bank verblüffte Pasquale alle mit seinen fabelhaften Verwandlungskünsten. Von der Commedia dell’Arte, die er leidenschaftlich bewunderte, hatte er die Begeisterung für deren Masken übernommen. Die Begegnung mit Victoria Chaplin und Jean-Baptiste Thierrée in Paris hatten in ihm die Leidenschaft für das Theater, für Pantomime und Tanz geweckt. Er sah sich jede Vorstellung von ihnen an, bis er eines Tages selbst damit anfing, in andere Rollen zu schlüpfen. In der Nacht hatte er von Marilyn Monroe geträumt, die ein Kleid aus Pappe trug. Nach dem Aufwachen suchte er sich zwei Kartons, und schon war das erste Kostüm fertig!
Pasquale ist ein Akrobat, ein Phantast, ein Illusionist, ein Gaukler, ein Taschenspieler, ein Clown, ein Musiker, ein Philosoph oder kurz gesagt ein Reisender in Sachen Phantasie, der aus seinem Gepäck (manchmal ist das auch nur ein Einkaufswagen) ganze Welten erschaffen kann, die seiner Vorstellungskraft entspringen. Mit einem Handtuch aus flämischem Leinen lässt er vor unseren Augen ein Pferd erstehen, oder er wird vor einem Geschirrset zum Dirigenten eines ganzen Symphonieorchesters; er ist der Gaukler, der vor einem Waschmittelregal seine akrobatischen Künste zeigt und uns die Gesetze der Schwerkraft vergessen lässt. Wenn wir ihm zusehen, werden wirwieder zu staunenden Kindern und verstehen, dass sich ein Mann mit einem Wischmob auf dem Kopf leicht in einen Vogel verwandeln kann.
Das alles ist Pasquale und noch viel mehr. Eine einzigartige, geheimnisvolle Persönlichkeit, die sich jedem Schubladendenken widersetzt. Vielleicht ist er ja ein Roboter oder Harlekin, ein Außerirdischer, vielleicht auch ein Verrückter oder ein Narr. In dieses große Theater des Lebens begibt er sich nur aus einem einzigen Grund: um es bloßzustellen und sich darüber lustig zu machen, während er selbst nur der Beobachter ist.
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Sein Boot gleitet dahin, eine knapp vier Meter lange Nussschale. Tausend Dinge finden Raum im winzigen Bug, von dort aus lässt sich die wahre Faszination des Meeres genießen, und das
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