Die italienischen Momente im Leben
brennenden Kerze geschmückt. Über der Eingangstür hängt in der Wohnung eine Schere, die verhindern soll, dass das Böse hier hereinkommt. Über die Heiligen und den Aberglauben in Neapel könnte ich glatt ein eigenes Kapitel schreiben.
Die Wohnung ist nicht sehr groß, Giuseppe lebt allein, aber wenn ihn seine Kinder besuchen, schlafen sie hier auch zu fünft. Auf einem Hängeboden hat er ein breites Bett untergebracht, und ein balkonartiger Anbau vergrößert die Kochnische. Hier trinken wir auch den legendären Kaffee (den vierten an diesem Tag!), aber Sie können sich nicht vorstellen, wie phantastisch der geschmeckt hat. »Du machst den besten Kaffee der Welt, Giusè!« Ich habe ja schon oft hervorragenden Espresso in Triest getrunken, einer anderen Stadt, wo man sich vorzüglich auf die Kaffeezubereitung versteht, dazu kommen wir später noch, aber der hier in Neapel übertrifft alles. Es heißt, das liege am Wasser.
Wir beginnen unseren Rundgang durch Neapel im historischen Zentrum, entlang dem Spaccanapoli. Im Dom, der dem heiligen Gennaro geweiht ist, werden wir gleich Zeugen des Blutwunders, das sich hier dreimal im Jahr ereignen soll, nämlich am ersten Maiwochenende, am 19. September und eben am 16. Dezember, als wir dort sind. Wir dürfen live die Ampulle mit demverflüssigten Blut des Heiligen bestaunen, die der Priester den Gläubigen zeigt, dabei wird er von zwei Carabinieri eskortiert. Kein Kommentar. Wir folgen Giuseppes Empfehlungen: In der kleinen Kirche Pio Monte della Misericordia bewundern wir Die sieben Werke der Barmherzigkeit , ein Meisterwerk von Caravaggio und zweifelsohne das bedeutendste Gemälde der Stadt. Weiter in die kleine Barockkirche Cappella Sansevero mit der berühmten Skulptur des Verhüllten Christus , deren Schönheit und Anmut uns die Sprache verschlägt. Ich sage nur: Das müssen Sie gesehen haben!!
Ehe die Dunkelheit hereinbricht, wollen wir Neapel noch vom höchsten Punkt aus betrachten und fahren mit der Seilbahn auf den Vomero hinauf zur mächtigen Festung Castel Sant’Elmo. Die Aussicht von dort oben ist großartig, vor uns liegen der Golf von Neapel und der Vesuv, die reinste Postkartenidylle.
Da Weihnachten vor der Tür steht, müssen wir aber unbedingt noch einmal in die Altstadt, zum Spaccanapoli, weil dort die Krippenhändler in der Via San Gregorio Armeno ihre Verkaufsstände aufgebaut haben.
In dieser engen Gasse decken sich auch die Neapolitaner mit allem ein, was ihre Krippe noch schöner und wirklichkeitsgetreuer aussehen lässt. Via San Gregorio ist in der ganzen Welt als die »Straße der Krippenbauer« bekannt, seit Generationen wird dieses Handwerk innerhalb der Familien weitergegeben ... der Sohn lernt vom Vater, was der Großvater ihm beigebracht hat. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie nicht nur Figuren in sämtlichen Größen und Ausführungen entdecken, von klassisch bis modern mit Anspielungen auf Politiker, Sportler und andere bekannte Persönlichkeiten – nicht nur Berlusconi, sogar Sarkozy und Angela Merkel habe ich gefunden –, sondern auf Pulcinella persönlich treffen, den berühmten Schelm aus der klassischen Commedia napolitana , der Sie unterhakt und mit einem spöttischen Lächeln fragt: » Te piace ’o presepio ?«, wasnichts anderes heißt, als ob Ihnen die Krippe gefällt. Nicken Sie lieber, Sie wissen ja bereits, wie stolz die Neapolitaner auf ihre Stadt und ihre Traditionen sind.
Leider drängen sich in der Straße so viele Touristen, dass man kaum vorankommt. Ganz langsam schiebt sich die Masse weiter, vorbei an dem Geschäft mit den Pulcinellafiguren, dem Puppenkrankenhaus, der Pizzeria, wo man als Spezialität frittierte, mit gesalzenem Ricotta gefüllte Pizzas serviert, an der Konditorei, in deren Auslage man soeben frische babà gestellt hat, diese mit Rum getränkten leckeren kleinen Kuchen ... köstlich! Sogar der Lärm scheint hier einen südlichen Einschlag zu haben, der salzige Geruch, den der Wind vom Meer herüberträgt, mischt sich mit dem Duft von Basilikum, den auf Balkonen hängenden Knoblauchzöpfen und der Tomatensoße, die hier immer irgendjemand auf dem Feuer stehen hat.
Diese Stadt der tausend Gesichter, der zahlreichen Widersprüche und der reinen, absoluten, vollkommenen Schönheit zu beschreiben ist wirklich nicht leicht. Seit jeher haben Sänger, Schriftsteller, Dichter und Musiker sich jeder auf seine Weise daran versucht.
Aber das ist nicht genug, um diese Stadt zu begreifen. Neapel erzählt sich
Weitere Kostenlose Bücher